1976, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, weigerte sich Georgia O’Keeffe, an der Schlüsselausstellung “Women Artists: 1550 to 1950” in Los Angeles teilzunehmen: als die berühmteste Künstlerin Amerikas wollte sie sich nicht auf weibliche Gesellschaft beschränken. Neuerdings erfreuen sich ausschließlich mit Frauen besetzte Ausstellungen, die in den 80er und 90er nahezu ausstarben, jedoch wieder größter Beliebtheit: Mit Arbeiten von hundert prominenten Künstlerinnen – darunter Cecily Brown, Marlene Dumas und Kara Walker –, die Mera und Steve Rubell unter dem Motto “No Man’s Land” im National Museum of Women in the Arts (bis zum 8. Januar) versammelten, wollte das Paar die noch immer miserable Statistik von weiblicher Kunst in den Museen und nicht zuletzt den Wert der eigenen Sammlung aufbessern.
Amerikas wohl bedeutendste Malerin des 20. Jahrhunderts, Georgia O'Keeffe
Im Sommer präsentierte das Center for Curatorial Studies am Bard College eine Gruppenshow mit dem von Valie Export inspirierten Titel “Invisible Adversaries”, die Werke von Feministinnen wie Lynda Benglis und Lorna Simpson zeigte Die größte Aufmerksamkeit erhielt jedoch die Eröffnungsausstellung der spektakulären Hauser, Wirth & Schimmel-Galerie im neuen Arts District von LA – “Revolution in the Making: Abstract Sculpture by Women, 1947-2016” hatte kein geringeres Ziel, als mit hundert raumgreifenden Objeken von 34 Künstlerinnen wie Lee Bontecue, Louise Bourgeois und Gego die männlich Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts mit ihrem Schwergewicht auf abstraktem Expressionismus, Minimalismus und Konzeptkunst umzuschreiben. Im Rausch feministischer Power stellte die gigantische Galerie dann im August ihren Innenhof für ein Gruppenfoto von 733 Künstlerinnen zur Verfügung. Catherine Opie, die in den 90er Jahren mit ihren Portraits der Schwulen-und Transgenderszene berühmt wurde, war zunächst unschlüssig: “Revolution” zeigte ihres Erachtens nicht genügend zeitgenössische Künstlerinnen, und noch immer werden trotz feministischer Imagepflege vergleichsweise wenige Frauen von der Galerie vertreten.
Die New Yorker Schriftstellerin Siri Hustvedt erinnerte kürzlich in einem Essay daran, dass der britische Kunstkritiker Brian Sewell 2008 im Independent zu behaupten wagte, daß es “noch nie eine erstklassige Künstlerin” gegeben habe: “Nur Männer sind zu ästhetischer Größe fähig.” In noch jüngerer Vergangenheit verkündete Georg Baselitz: “Frauen malen nicht sehr gut. Das ist eine Tatsache.” Und fügte hinzu: “Der Markt hat, wie immer, Recht.” Aber er läßt sich auch manipulieren: das zum großen Teil unerschlossene, über Jahrzehnte produzierte Inventar von Kunst aus weiblicher Hand erleichtert das Zusammentragen von Museumsausstellungen.
Darüber hinaus sind Entdeckungen zu machen, wie im Falle der 99-jährigen, bis vor kurzem unbekannten Carmen Herrera, der das Whitney gerade eine Soloshow widmete. Oder wie bei Susan Frecon, die bei der ersten Whitney Biennale des neuen Milleniums mit knapp sechzig das Licht der Öffentlichkeit erblickte und nun von Zwirner im großen Stil vertreten wird. Hustvedt spekuliert, ob ein “geschlechtsblindes” Verhältnis zur bildenden Kunst, vergleichtbar mit der nur nach dem Gehör getroffenen Auswahl von Musikern für das Metropolitan Opera Orchester, nicht vorzuziehen wäre – ob dann Eva Hesses radikal experimentelle Arbeiten nicht vielleicht als maskulin und Joseph Cornells zarte Assemblagen nicht als weiblich gesehen würden. Wie so viele ihrer Geschlechtsgenossinnen fürchtet sie, dass die Kategorie der Frauenkunst einem schwer zu entkommenden Ghetto gleicht, auf alle Zeiten die Ausnahme von der Regel – wer spricht schon je von Männerkunst? Noch immer ist sie der Standard: letztes Jahr stammten ganze sieben Prozent der Exponate in der hauseigenen MoMA-Sammlung von Frauen.
Marlyn Minter
New York - Mit der zunehmend ins Rampenlicht gerückten Transgender Welt haben feministische Künstlerinnen die Verstärkung einer lange kaum sichtbaren Minorität im Kampf um die Gleichberechtigung erhalten. Zugleich aber gehen Vertreter der Queer Art wie Zackary Drucker und Rhys Ernst einen großen Schritt weiter: das Paar fand sich, als Zackary die Transformation vom Mann zur Frau und Rhys den umgekehrten Prozeß began – die zärtliche Dokumentation ihrer parallelen Geschlechtsumkehrung wurde zu einem gefeierten Beitrag der Whitney Biennale von 2015, der die traditionelle Dualität von Mann und Frau obsolet macht. Mit seinen Fotos von Transmännern und -frauen entmystifiziert der Fotograf Amos Mac eine immer selbstbewußtere Gemeinde, die eine beispielhafte Fluidität sexueller Kategorien lebt. In der langen Tradition von Claude Cahun bis Anna Mendieta kreierte die junge Fotografin Rowan Renee, ein langjähriges Inzestopfer, intensive Bilder von Gewalt und Heilung am eigenen Leib, die in einem diskreten Selbstportrait ihres nackten Köpers mit einem von der Sonne rot beschienen Dildo kulminieren.
Mierle Laderman Ukeles: Retrosspektive im Queens Museum
Mit ihrer jeweiligen Affinität zu ramponiertem Glamour feierten in diesem Jahr sowohl Marilyn Minter im Brooklyn Museum (bis zum 2.4.17) als auch Nan Goldin im MoMA Lust und Leid polymorpher Begierden. Doch das letzte Wort behält wohl eine andere Veteranin feministischer Kunsttheorie und –praxis: diesen Herbst widmete das progressive Queens Museum Mierle Laderman Ukeles eine Retrospektive (bis zum 19.2.17) ihrer in den 60er Jahren ins Leben gerufenen “Maintenance Art”: als die Malerin zur Mutter wurde und sich damit plötzlich aus der Künstlergemeinde exkommuniziert und in die Sphäre eines mißachteten Servicejobs katapultiert fand, verfaßte sie in einer Nacht ihr “Manifesto for Maintenance Art 1969!” Fortan erklärte sie das Reinigen, Instandhalten, Pflegen, Bewahren und Reparieren, das ein Drittel unsere Lebens in Anspruch nimmt, aber keinerlei Respekt erhält, zu ihrem Thema. Sie schüttelte die Hände von über 8500 Müllmännern und inszenierte Ballette mit ihren mächtigen Fahrzeugen. Sie wischte Straßen und animierte Hausmeister und Putzfrauen des Whitney Museums, ihre Arbeit zu dokumentieren und zur Kunst zu erklären. Mierle Laderman Ukeles’ Oeuvre erinnert an ein amerikanisches Sprichwort: “Frauenarbeit kennt kein Ende” – und das gilt auch für die mühsame Aufgabe, ihrer Kunst die gebührende Anerkennung und Verbreitung zu verschaffen.
Claudia Steinberg
No comments:
Post a Comment