Mit jedem neuen Medium, das Shirin Neshat für sich erobert, genießt sie die Aufregung und selbst die Ängste der Anfängerin. Seit die nach New York ausgewandertemIranerin, die zu Beginn der 90er Jahre mit stilisierten schwarz-weiß Fotos islamischer Frauen bekannt wurde, hat sie ihre künstlerische Praxis auf Video, Film und gelegentlich Bühnenproduktionen erweitert, wie zum Beispiel das Multimediaspektakel “Logic of Birds”, das 2001 im Lincoln Center seine Premiere erlebte. “Musik wird zur Seele, zum Persönlichen, zum Intuitiven”, erklärte sie damals. Im vergangenen Jahr realisierte die 59-Jährige ihr Filmprojekt “Passage Through the World”, eine Reise durch die gleichermaßen von westlichen und asiatischen Einflüssen geprägten Songs des iranischen Musikers Mohsen Namjoo.
Shirin Neshat fühlt sich mit jedem neuen Projekt immer
wieder als Anfängerin
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Doch Neshats neuestes Unterfangen geht weit über ihre bisherigen musikalischen Explorationen hinaus: Ricardo Muti hat sie eingeladen, im kommenden Jahr nicht nur das Bühnenbild für die “Aida”-Produktion der Salzburger Festspiele zu kreieren, sondern auch Regie zu führen. “Das Angebot hat mich zunächst verängstigt, aber es ist auch ungemein stimulierend”, erklärt Neshat, die sich bisher noch ausschließlich als Studentin betrachtet. Sie wohnt nun regelmäßig den Proben der Metropolitan Oper bei und nimmt wöchentlich Dramaturgieunterricht.
Das Thema der Oper liegt Neshat, deren Werk zutiefst von ihrer Situation als Exilantin geprägt ist, jedoch keineswegs fern: von Anbeginn hat sie sich mit Frauen in der Diaspora auseinandergesetzt, und “Aida” handelt schließlich von einer nach Ägypten entführten und versklavten Prinzessin aus Äthiopien. Verdi glaubte zwar, dass jede Musik “ihren eigenen Himmel” habe, doch baute er sein Opus auf dem Fundament wissenschaftlicher Studien des Ägyptologen August Mariette. Natürlich ist das monumentale Melodram trotz der progressiven Gesinnung des Komponisten unweigerlich vom Exotismus und Orientalismus seiner Ära durchzogen.
Doch gerade der Blick auf das Fremde ist es, was Neshat interessiert: “Seit ich außerhalb meiner Heimat lebe,” erklärte sie kürzlich “Il Manifesto”, “suche ich nach Paradoxen mit dem Ziel, menschliche Gemeinsamkeiten zu finden.” Darüber hinaus ist ihr Ägypten seit fünf Jahren sehr nahe: so lange arbeitet die Perfektionistin bereits an einem Film über die 1975 verstorbene Sängerin Umm Kulthum, die über die Grenzen ihres Landes hinaus nach wie vor auch in Marokko, Israel, Algerien und Palästina ungemeine Popularität genießt. Im Unterschied zur tragisch endenden Opernheroine repräsentiert Kulthum für Neshat eine Vorläuferin der gebildeten, unabhängigen Frauen des Nahen Ostens, denen die Gesellschaft noch immer hinterher hinkt.
Claudia Steinberg