Als Mitte der 80er Jahre das große Sterben junger Homosexueller in New York und San Francisco begann, fanden die von Aids betroffenen Künstler im feministischen und politischen Aktivismus der beiden vorangegangenen Dekaden Anleitung für die ästhetische Aufarbeitung der Krise. Der Körper mit seiner plötzlich so präsenten Vergänglichkeit, mit seinen mysteriösen Säften und scheiternden Systemen rückte in den Vordergrund, eine barocke Todesnähe breitete sich in der Kunst aus wie nach den Weltkriegen oder der Influenzaepidemie. ACT-UP protestierte mit den Mitteln der Performance Kunst gegen die Gleichgültigkeit der Politiker und die lahme Reaktion der Pharmaindustrie auf die Katastrophe.
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Installation view of Art AIDS America
©Marisol Díaz, 2016
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Seit mehr als zwanzig Jahren gibt es Medikamente gegen AIDS, die es vom Todesurteil zur chronischen Krankheit transformieren. Doch noch immer werden jährlich rund 40,000 neue Fälle in den USA diagnostiziert, und die Bronx ist weiterhin eine der am härtesten betroffenen Regionen. So ist die Ausstellung Art AIDS America, die in Los Angeles debutierte und nach ihrer zweiten Station in Tacoma gerade im Bronx Museum eröffnete (bis zum 25. September), dort nicht nur ein Kunstereignis:
Museumsdirektorin Holly Block, eine der Mitorganisatorinnen, bezeichnet die Show als erste systematische Bestandsaufnahme von AIDS-bezogener Kunst über drei Jahrzehnte hinweg und will sie mit Diskussionen und einer vor dem Museum geparkten mobilen Klinik in die Nachbarschaft einbinden. Arbeiten von Félix Gonzáles-Torres, Keith Haring und Bronx-geborenen Künstlern wie Glenn Ligon und Willie Cole sind unter den 120 Exponaten. Auch Martin Wongs magische, romantische und herzzerreißende Bilder der Lower East Side der 80er Jahre mit ihren erotischen Feuerwehrmännern und leuchtenden Gestirnen über Ruinen, denen das Bronx Museum vor einigen Monaten eine Retrospektive widmete, sind vertreten. In einem Augenblick extremer Gewalt in den USA, die nach aktuellen Formen des künstlerischen Aktivismus verlangt, könnte die Ausstellung Art AIDS America mit ihrem Finger auf der unverheilten Wunde nicht willkommener sein.
Claudia Steinberg
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