Brav, gehorsam, still: So sollten Frauen im 18. Jahrhundert sein. Aber schon damals gab es manche, die darauf keine Lust hatten - wie einige der acht wichtigsten Frauen im Leben von Johann Sebastian Bach.
Nr. 1: Die begabte “Gehülfin” Anna Magdalena Bach
Anna Magdalena Bach (1701-1760)
Zu Lebzeiten von Johann Sebastian Bach (1685-1750) waren Frauen meist nur “Gehülfinnen”, also Gehilfinnen ihrer Ehemänner. So auch seine zweite Ehefrau. Dabei hatte er die damalige Anna Magdalena Wilcke als ausgebildete, hochbezahlte Kammersängerin kennengelernt. Seine erste Frau, Maria Barbara, war ein Jahr zuvor verstorben und hatte ihm viele Kinder hinterlassen. Die 20-jährige Anna Magdalena verzichtete auf eine eigene Karriere, um ihm 13 weitere Kinder zu schenken, seinen Haushalt mit Schülern und ständigen Besuchen zu regeln und lästige Pflichten von ihm fern zu halten. Sie verdingte sich auch (auch wenn man sich fragt, wann sie Zeit dafür gefunden haben mag!) als Notenkopistin für ihren Ehemann. In Leipzig durfte sie als Sängerin nicht in der Kirche auftreten. Dieses Privileg war Männern und Knaben vorbehalten. Vermutlich sang sie jedoch bei Konzerten von Bachs Amateurorchester, dem Collegium musicum, einer Gruppierung meist studentischer Musiker. Nach Bachs Tod schafften es vier von Bachs Söhnen zu Ruhm und Ansehen. Sie kümmerten sich jedoch nicht um ihre Mutter beziehungsweise Stiefmutter: Anna Magdalena verstarb als “Almosenfrau”. Unzählige Klavierschüler kennen das “Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach”, eine Sammlung von leicht zu spielenden bis anspruchsvollen Stücken für Tasteninstrumente. Demnach muss sie auch die Tasten gut beherrscht haben.
Nr. 2: Im Salon der Dichterin Christiane Mariane von Ziegler
Christiane Mariane von Ziegler (1695-1760)
Die Tochter eines Leipziger Bürgermeisters wurde zu einer kaiserlich ausgezeichneten Dichterin. Sie schrieb religiöse Lyrik und Briefessays mit Witz und Esprit. In Leipzig gründete die auch musikalisch gebildete Frau von Ziegler einen der ersten literarisch-musikalischen Salons in Deutschland, eine “Begegnungsstätte von Bürgern, Gelehrten und Künstlern”. Es wird vermutet, dass Bach und seine Frau an den Aktivitäten dort teilnahmen. Sicher ist, dass Ziegler die Texte zu neun von Bachs Kirchenkantaten schrieb. Dabei war eine dichtende Frau zu jener Zeit eine recht ungewöhnliche Erscheinung. Das Frauenbild war umstritten: Sogar Bach soll eine Melodie zu einem Spottlied auf studierende Frauen geschrieben haben. Zieglers reimende Antwort: “Das Weib darf seinen Witz nicht zeigen: Die Vorsicht hat es ausgedacht. Es soll in der Gemeinde schweigen, sonst würdet ihr oft ausgelacht.” Zeit ihres Lebens kämpfte Ziegler unermüdlich gegen diese Situation an: “Wenn ein Frauenzimmer von Jugend auf sich der Erlernung dergleichen Gelehrsamkeit weyhet, warum sollte es nicht eben denjenigen Vortheil erhalten, den das Männliche Geschlechte erlanget?”
Nr. 3: Europas Primadonna Faustina Bordoni
Faustina Bordoni-Hasse (1697-1781)
Eigens für die aus Italien stammende, bestbezahlte Sängerin Europas hat Georg Friedrich Händel die Hauptrollen in fünf seiner Opern geschrieben. Die in ganz Europa gefeierte Mezzosopranistin heiratete 1730 den Komponisten Johann Adolf Hasse und ging mit ihm zur Oper am Hof Augusts des Starken in Dresden. Ein Jahr später sang sie bei der triumphalen Uraufführung von Hasses Oper “Cleofide”; unter den Zuhörern war Johann Sebastian Bach. Überliefert ist, dass Bach seinen in Dresden tätigen Sohn Wilhelm Friedemann einmal fragte: “Wollen wir nicht die schönen Dresdner Liederchen einmal wieder hören?” Das Ehepaar Hasse war mit den Bachs befreundet und stattete ihnen mehrere Besuche in Leipzig ab - und auch Faustina mag mit Bachs Collegium musicum gesungen haben. Hasse und seine “Diva assoluta” waren äußerst erfolgreich: Sie verdiente das doppelte Gehalt ihres Ehemannes, und beide zusammen sechszehn Mal so viel wie Bach.
Nr. 4: Hinter ihrem erfolgreichen Mann stand Luise Adelgunde Victorie Gottsched
Luise Adelgunde Victorie Gottsched (1713-1762)
Kaiserin Maria Theresia nannte sie die “gelehrteste Frau Deutschlands”. In Mathematik, Geographie, Zeichnen, Musik, Philosophie sowie in Französisch und Englisch erhielt sie eine fundierte Ausbildung. Sie übersetzte große wissenschaftliche, historische und philosophische Werke, schrieb sieben Theaterstücke, verfasste Aufsätze über Philosophie - und komponierte auch. Dabei lehnte die gelehrte Frau Gottsched Ehrungen ab. Vor allem stand sie ihrem Ehemann bei, dem Leipziger Schriftsteller und Professor Johann Christoph Gottsched - und hatte einen erheblichen Anteil an seinem Erfolg. Die Vorlesungen ihres Mannes musste sie allerdings heimlich verfolgen; Frauen wurde damals der Zutritt zum Vorlesungssaal nicht gestattet. Frau Gottsched spielte Cembalo und Laute und nahm Kompositionsunterricht bei Bachs Schüler Johann Ludwig Krebs. Möglicherweise spielte sie ebenfalls in Bachs Collegium musicum.
Nr. 5: Die Preußische Prinzessin Anna Amalia komponierte auch
Prinzessin Anna Amalia von Preußen (1723-1787)
Als Tochter des “Soldatenkönigs” Friedrich Wilhelm I durfte sie zunächst keinen Musikunterricht nehmen, lernte jedoch inoffiziell bei ihrem Bruder, dem späteren Friedrich dem Großen. Anna Amalia beherrschte vier Instrumente und schrieb diverse Werke, zu denen Choräle, Sonaten, Fugen und Oratorien-Entwürfe gehören. Ihr großes Vorbild war Johann Sebastian Bach. Sie studierte beim ehemaligen Bach-Schüler Johann Philipp Kirnberger und beschäftigte ihn als Hofmusiker. Johann Sebastian begegnete sie vermutlich persönlich bei seinem Besuch in Potsdam 1747. Die preußische Prinzessin förderte Bachs zwei ältesten Söhne. Ihr unschätzbarer Verdienst: Sie nahm zahlreiche Bach-Handschriften in ihre “Amalien-Bibliothek” auf (nicht zu verwechseln mit der Anna Amalia-Bibliothek in Weimar). Sonst wären wichtige Werke wie die Brandenburgischen Konzerte und die h-Moll Messe möglicherweise verloren gegangen.
Nr. 6: Sara Levy pflegte einen Bach-Kult
Sara Levy (1761-1854)
Die Tochter von Daniel Itzig, einem Berliner Bankier und “Hofjuden” Friedrich des Großen, war auch die Großtante Felix Mendelssohns. In Itzigs Familienkreis wurde Bachs Musik regelmäßig gespielt - auch zu einer Zeit, als der Komponist fast in Vergessenheit geraten war. Gegenüber vom Berliner Dom pflegte Sara Levy später einen musikalisch-literarischen Salon. Dort verkehrten E.T.A. Hoffmann, Bettina Brentano, die Brüder Humboldt, Achim von Arnim - und auch Ludwig van Beethoven spielte dort. Der Salon galt jedoch in erster Linie als “Sebastian und Philipp Emanuel Bach-Kultus”. Levy war die Lieblingsschülerin von Bachs ältestem Sohn Wilhelm Friedemann. Sie wurde eine virtuose Cembalistin und vergab Kompositionsaufträge an ihren berühmten Lehrer und seinen Bruder. In frühen Aufführungen von Werken von Bach - Vater und Söhne - spielte sie solo.
Nr. 7: Ohne Bella Salomon gäbe es keine Bach-Renaissance
Bella Salomon (1729-1824)
Als die Schwester Sara Levys wuchs Bella Salomon ebenfalls in einem Haushalt auf, in dem Bachs Musik hochgehalten wurde. Bachs Schüler Kirnberger hat sie unterrichtet. Bella Salomon war eine der ersten, die die Bedeutung von Bachs Matthäus-Passion erkannte. Eine Abschrift des Werks schenkte sie ihrem Enkel Felix Mendelssohn im Jahr 1823. Sechs Jahre später führte er das Werk zum ersten Mal nach Bachs Tod wieder auf - und leitete damit eine Bach-Renaissance ein.
Nr. 8: Die “Cembalo-Amazone” Wanda Landowska brachte der Welt den originalen Bach-Sound zurück
Wanda Landowska (1879-1959)
Wie wir Musik heute hören, hat viel mit Interpreten der Vergangenheit zu tun - und dabei ist der Verdienst dieser polnisch-jüdischen Pianistin nicht zu unterschätzen. 1896 entdeckte Landowska in einem Berliner Musikinstrumentenmuseum ein fast völlig vergessenes Instrument für sich: das Cembalo. 1913 wurde die “unermüdliche Amazone auf dem Cembalo” an der Königlichen Hochschule für Musik in Berlin die weltweit erste Lehrerin für das Instrument. 1940 vor den Nazis nach New York geflohen, feierte sie triumphale Erfolge in den USA. Bachs Musik auf dem Instrument zu hören, das er selber kannte, war für damalige Ohren eine Offenbarung. Heute ist es ganz selbstverständlich.
Die Frauen-Portraits, Originalobjekte und Hörbeispiele sind in der Ausstellung “Frauen und Bach” zu sehen und zu hören. Es ist eine Gastausstellung des Bachhauses Eisenach im Berliner Dom bis zum 1. Mai.
No comments:
Post a Comment