Sie war eine der interessantesten Frauen, denen ich je begegnet bin: Kinderärztin Professor Dr. Barbara Korsch. Am 26. März, vier Tage vor ihrem 96. Geburtstag ist sie in Santa Monica gestorben. Ihr langes aufregendes Leben ist zugleich ein Stück Zeitgeschichte. Grund für ein paar Streiflichter aus ihrer Vergangenheit. Sie hat übrigens auch ein Buch darüber geschrieben.
Barbara Korsch an ihrer Geburtstagsfeier
Mit 18 lernte sie bei Bert Brecht Autofahren, machte Hundespaziergänge mit ihrem Onkel Thomas Mann, teilte die Leiden der Emigration mit den großen Geistern des vorigen Jahrhunderts, schrieb ein revolutionäres Buch über den Dialog zwischen Arzt und Patienten, leitete jahrelang Kinderkliniken in New York und Los Angeles, holte sich Ehrungen vieler Universitäten, gründete die Ambulatory Pediatric Assoziation, war das erste weibliche Mitglied der National Académie. Bis nach ihrem 90. Geburtstag arbeitete Barbara Korsch noch immer als Ärztin und Pädagogin im Children's Hospital in Los Angeles. Wieder ein Superlativ: wohl die älteste praktizierende Kinderärztin Kaliforniens, die auch gleichzeitig Medizinstudenten nach neuesten Methoden ausbildete…
Aber es geht noch weiter: Sie wurde von der Universität Südkalifornien mit dem Lifetime Archivment Ward für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Es gibt auch den Barbara Korsch Preis, der jährlich für herausragende Leistungen in medizinischer Bildung vergeben wird.
Und wie sah die Person hinter dieser Kulisse von Ehrungen und Bedeutung aus? Eine zierliche modische elegante Dame - geistreich, witzig, diskutierfreudig, voller Lebenslust mit einem strahlenden Lächeln. So gewann Barbara Korsch die Menschen. Sie liebte es, Gastgeberin in ihrer modernen Wohnung - weiße Couchgarnitur auf weißem Berberboden mit weitem Blick über Palmen auf's Meer - in Santa Monika zu sein. Unterstützt von ihren beiden Gesellschaftsdamen Yolanda und Elizabeth wurden die Gäste verwöhnt. Oder die kleinen ganz persönlichen Nachmittage mit ein paar Freunden auf dem Balkon, einem wahren Blumen-Paradies. Nicht zu vergessen, weil immer dabei, zwei ungestüme vierbeinige "Herren", die Cavalier King Charles Spaniels Oliver und Nighel.
Ja, und die vielen Bücher in den Wandregalen der Wohnung, denn Lesen war Barbaras Leidenschaft. Über die Literaturbegeisterung haben wir uns auch vor mehr als 15 Jahren kennengelernt. Wir saßen nebeneinander in einem deutschen Literaturkreis - geleitet von Dr. Dorle Eggert - lasen deutsche Schriftsteller von Goethe über Rilke bis zu modernen Autoren wie Charlotte Link, Hape Kerkeling oder Bernhard Schlink mit anschließenden - oft - hitzigen Diskussionen.
"Diese Wohnung ist mein Alterssitz, den ich sehr genieße," erzählte Barbara Korsch immer wieder gern, "Nach dem Tod meines Mannes Robert Ward fühlte ich mich in dem großen Haus in den Pazifik Palisades wie in einem zu weit gewordenen Kleid. Er war nach einer gescheiterten Ehe meine ganz große Liebe. Wir hatten uns auf einem Kongress für Kinderärzte kennengelernt und waren beide auf dem Höhepunkt unserer Karrieren. Er war Chefarzt am Children's Hospital in Los Angeles. Ich leitete in New York eine große Kinderklinik vom Cornell University Medial College. Liebe auf den ersten Blick. Wir heirateten und kauften uns das große Haus direkt neben der Villa Aurora und wurden so zu Nachbarn von Marta und Lion Feuchtwanger - wir hatten aber keine literarische, sondern eine rein freundschaftliche Beziehung."
Mit Freunden beim Lunch auf dem Balkon
Literatur in geballter Form wiederum erlebte Barbara von ihrem Vater Professor Dr. Karl Korsch (1886-1961), Jurist, Nationalökonom, Sozialphilosoph und ein Rebell, immer auf der Suche nach dem authentischen Marx mit dem Credo einer 'Industriellen Demokratie'. Doch er war auch Bert Brechts Lehrer und Gesinnungspartner. Kein Wunder, dass die Nazis in diesem engagierten Mann eine Gefahr sahen. Er floh 1933 ins Exil nach England und Dänemark.
Barbaras Schicksalsbericht: "Meine Mutter und mich schickte er in einen kleinen Ort in der Nähe von Stockholm. Meine ältere Schwester Sybille, die Psychologie studierte, blieb erst noch. Bis sie meine Mutter in einer abenteuerlichen Tour, beide unkenntlich vermummt und verkleidet, raus aus Deutschland nach England brachte. Zwischendurch fuhren wir nochmals zurück nach Berlin, weil ich Heimweh und Sehnsucht nach meiner verlassenen Puppe Ruth hatte. Auf dem Rückweg schmuggelten wir Geld von befreundeten Juden nach Skandinavien - Eine abenteuerliche Angstpartie."
Drei Jahre verbrachte Barbara Korsch in Schweden."Bert Brecht und Helene Weigel wohnten in einem schönen alten Bauernhaus in dem dänischen Ort Svenborg und unsere Familien besuchten sich häufig. Das war recht einfach mit der Fähre. Alle Frauen waren total in Brecht verliebt. Er war einfach bezaubernd. Ich als Teenager himmelte ihn natürlich auch an und war begeistert, dass er mir in seinem Auto, einem T Ford, Fahrstunden gab und lauschte andächtig seinen theatralischen und revolutionären Ideen. Jedenfalls war ich wahnsinnig gern bei den Brechts. Sie führten ein großes, offenes Haus, wo man den interessantesten Menschen wie Charles Laughton, Elsa Manchester oder George Grosz begegnete, der uns immer zum Lachen brachte. Es war ein Kulturzentrum für Künstler, Schriftsteller, Emigranten aller Art."
Barbara Korsch hat sich oft Gedanken darüber gemacht, ob Helene Weigel unter den ständigen Flirts ihres Mannes gelitten hat oder ob sie darüber stand. Dabei zog sie Vergleiche mit ihrer Mutter, die von ihrem schönen Mann ständig betrogen worden war, aber nie klagte. Doch seine Frauengeschichten brachten ihm Ärger: Als sich zwei seiner politischen Partnerinnen um seinetwillen am selben Tag in London umbrachten, kann es zu einem Riesenskandal und Professor Korsch wurde aus England deportiert.
Hund Oliver war immer dabei, Nighel wahrscheinlich gerade in der Küche
Für die Familie bedeutete die Deportation 1936 die Emigration nach Amerika. Start in ein neues Leben, in das auch wieder Katja und Thomas Mann traten. Katja war die leibliche Tante aus mütterlicher Linie. "Nach dem Nobelpreis lebten die Manns in Princeton und sie luden mich in ihr wunderschönes Haus ein", erizählt Barbara. "Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen geraden korrekten Herrn, diesen norddeutschen Dichter der Buddenbrooks. Er fragte mich, ob ich Lust zum Hundespaziergang mit ihm hätte. Sicher. Und beim Spiel mit den Hunden taute er richtig auf. Doch viel wichtiger waren mir Klaus und Erika, seine Kinder. Beide Schauspieler, extravagant und phantastisch aussehend. Sie trugen damals Hemden wie Lord Byron und ich war hingerissen."
Barbaras Stationen in der Neuen Welt: Besuch der berühmten Mädchenschule Smith College, Medizistudium an der John Hopkins Universität und Jobben als Kellnerin während der Semesterferien. "Ich war das einzige Mädchen unter lauter männlichen Studenten und wollte natürlich immer beweisen, dass ich als Frau alles ebenso gut kann." Diesen Ehrgeiz hatten einige Frauen in Barbaras Familie. Die berühmteste war ihre Urgroßmutter Hedwig Dohm, Frauenrechtlerin und doch überzeugte Antifeministin. Sie war für die Freiheit der Frauen. Davon profitierte auch Barbaras Mutter, die zwar 20 Fremdsprachen beherrschte, aber dafür nicht kochen konnte. Durch ihre Freundschaft mit Maria Montessori bekam sie in den USA eine Stelle als Lehrerin an einer Quäkerschule, später unterrichtete sie als Professorin an der Uni in Massachusetts.
Mit 23 Jahren war Barbara Korsch fertige Kinderärztin. Aber ich fühlte mich allein in der großen Stadt New York und durchlebte gerade eine unglückliche Liebesgeschichte. In meiner Verzweiflung heiratete ich einen Kollegen, schön und reich und nach außen glänzten wir, aber ich liebte ihn Bernhard Schlink, Hape Kerkeling oder Charlotte Link, nicht und stürzte mich in meine Arbeit und ließ mich scheiden." Ausgestattet mit der ererbten Sprachbegabung ihrer Mutter - Barbara parlierte in sechs Sprachen - entwickelte sie eine Leidenschaft, das Reisen, ging auf Entdeckungstouren vor allem durch Frankreich, Italien und Spanien - und daran hat sich in ihrem ganzen langen Leben nichts geändert.
In dieser Zeit begann die junge Ärztin mit dem Studium der Beziehung zwischen Ärzten und Patienten, eine Pionierarbeit. Nach 35 Jahren wissenschaftlicher Studien fasste sie ihre Erfahrungen in ihrem Buch "The Intelligent Patient's Guide to the Doctor-Patient Relationship - Learning How toTalk so Your Doctor Will Listen" zusammen. Das Buch war revolutionär und wurde in viele Sprachen übersetzt.
Barbara Korsch liebte die Geselligkeit, hier beim Kaffeeklatsch mit zwei Freundinnen
Das Wichtigste war für Barbara Korsch immer die menschliche Beziehung zwischen Arzt und Patienten, der persönliche Kontakt. Das war Herzenssache für sie. Und sie erinnerte sich: "Ich werde so oft gefragt, ob ich nicht beim Anblick der oft unheilbar kranken Kinder leide. Natürlich tat es mir weh, doch wenn ich auch nur ein kleines bisschen helfen konnte, machte es mich sehr glücklich." Barbara Korsch war eine Kinderärztin aus Leidenschaft.
Ingrid Steinberg
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