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Wednesday, July 8, 2015

New York - Tatiana Trouve erwanderte den Central Park und wandelte ihn zur Skulptur

Desire Lines are installed at the Doris C. Freedman Plaza in Central Park till August 30.. (Photo courtesy of the Public Art Fund)
Der Central Park ist ein Organismus, in dem sich die Nervenstränge der Stadt wie in einem gut durchbluteten Organ verästeln - 212 schmale Pfade, gepflasterte Wege und befahrbare Straßen mäandern durch die künstliche Wildnis. Robert Smithson erkor ihren Schöpfer Frederick Law Olmstead zum ersten Earthwork Künstler und bezeichnete sein 341 Hektar großes Werk als Skulptur. Doch der 158 Jahre alte Park war auch als Repräsentant der amerikanischen Gesellschaft gedacht, und so ist ein jeder Eingang nach einer Gesellschaftsgruppe oder Profession benannt: nach den Ingeneuren, den Bergarbeitern, den Bauern, den Gelehrten, den Mädchen. Die in Italien geborene, in Dakar aufgewachsene und in Paris lebende Künstlerin Tatiana Trouvé hat für ihre erste öffentliche Arbeit im Auftrag des Public Art Fund den gesamten Park erwandert und jede einzelne Strecke numeriert und gemessen - vom Pioneer's Gate bis zum Heuschreckenwäldchen (P001), vom Polarkreis bis zur Tropenzone im Zoo (P082), vom Diana Ross Spielplatz bis zum Reitweg, (P179). 
Trouvé wollte Olmsteads sozialer Skulptur kein weiteres Kunstwerk aufoktroyieren, und so platzierte sie ihre auf einer fast vierjährigen Analyse seines labyrinthischen Meisterwerks basierende Installation "Desire Lines" respektvoll auf dem Doric C. Freedman Plaza am Südostende des Stadtgartens: auf drei monumentalen Stahlregalen sind sämtliche Routen als verschiedenfarbige Kordeln auf Spulen aufgewickelt - ihre Größe kündet von der jeweiligen Länge eines Weges, ohne etwas über sein Wesen zu verraten. Diesen systematischen, abstrakten "Atlas", wie die 48-Jährige die Kondensierung ihres physischen Dialogs mit dem Park nennt, ergänzte sie um eine "historische Konversation" mit der für den Großstädter gestalteten Natur,  zu der sie ihre Wanderungen inspirierten: jeder Route ordnete sie einen bedeutenden  Friedens- und Protestmarsch wie die Suffragettenparade von 2013 oder den Bürgerrechtsmarsch von Selma nach Montgomery (1965) zu, aber auch  Songs wie Lou Reeds "Walk on the Wild Side" oder Buchtiteln wie Thomas Bernhards "Gehen" und Karl Gottlob Schelles "Die Spaziergänge oder die Kunst spazieren zu gehen." "Ich mag es, wie wir beim Gehen jede Menge neuer Orte entdecken", sagt Trouvé, und meint damit auch innere Räume sowie die Spuren der Geschichte, die in die Landschaft graviert sind.
Claudia Steinberg

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