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Monday, November 14, 2016

Shirin Neshat - eine Iranerin liebt die künstlerische Herausforderung - Ihr nächstes Projekt: Eine Aida-Inszenierung für die Salzburger Festspiele

Mit jedem neuen Medium, das Shirin Neshat für sich erobert, genießt sie die Aufregung und selbst die Ängste der Anfängerin. Seit die nach New York ausgewandertemIranerin, die zu Beginn der 90er Jahre mit stilisierten schwarz-weiß Fotos islamischer Frauen bekannt wurde, hat sie ihre künstlerische Praxis auf Video, Film und gelegentlich Bühnenproduktionen erweitert, wie zum Beispiel das Multimediaspektakel “Logic of Birds”, das 2001 im Lincoln Center seine Premiere erlebte. “Musik wird zur Seele, zum Persönlichen, zum Intuitiven”, erklärte sie damals. Im vergangenen Jahr realisierte die 59-Jährige ihr Filmprojekt “Passage Through the World”, eine Reise durch die gleichermaßen von westlichen und asiatischen Einflüssen geprägten Songs des iranischen Musikers Mohsen Namjoo. 

Shirin Neshat fühlt sich mit jedem neuen Projekt immer 
wieder als Anfängerin



Doch Neshats neuestes Unterfangen geht weit über ihre bisherigen musikalischen Explorationen hinaus: Ricardo Muti hat sie eingeladen, im kommenden Jahr nicht nur das Bühnenbild für die “Aida”-Produktion der Salzburger Festspiele zu kreieren, sondern auch Regie zu führen. “Das Angebot hat mich zunächst verängstigt, aber es ist auch ungemein stimulierend”, erklärt Neshat, die sich bisher noch ausschließlich als Studentin betrachtet. Sie wohnt nun regelmäßig den Proben der Metropolitan Oper bei und nimmt wöchentlich Dramaturgieunterricht. 

Das Thema der Oper liegt Neshat, deren Werk zutiefst von ihrer Situation als Exilantin geprägt ist, jedoch keineswegs fern: von Anbeginn hat sie sich mit Frauen in der Diaspora auseinandergesetzt, und “Aida” handelt schließlich von einer nach Ägypten entführten und versklavten Prinzessin aus Äthiopien. Verdi glaubte zwar, dass jede Musik “ihren eigenen Himmel” habe, doch baute er sein Opus auf dem Fundament wissenschaftlicher Studien des Ägyptologen August Mariette. Natürlich ist das monumentale Melodram trotz der progressiven Gesinnung des Komponisten unweigerlich vom Exotismus und Orientalismus seiner Ära durchzogen.   

Doch gerade der Blick auf das Fremde ist es, was Neshat interessiert: “Seit ich außerhalb meiner Heimat lebe,” erklärte sie kürzlich  “Il Manifesto”, “suche ich nach Paradoxen mit dem Ziel, menschliche Gemeinsamkeiten zu finden.” Darüber hinaus ist ihr Ägypten seit fünf Jahren sehr nahe: so lange arbeitet die Perfektionistin bereits an einem Film über die 1975 verstorbene Sängerin Umm Kulthum, die über die Grenzen ihres Landes hinaus nach wie vor auch in Marokko, Israel, Algerien und Palästina ungemeine Popularität genießt. Im Unterschied zur tragisch endenden Opernheroine repräsentiert Kulthum  für Neshat eine Vorläuferin der gebildeten, unabhängigen  Frauen des Nahen Ostens, denen die Gesellschaft noch immer hinterher hinkt.

Claudia Steinberg

Netflix verabreicht Feuermedizin des Pyrotechikers Cai Guo Qiang einem Millionenpublikum

Christo, Hirst, Murakami - in diese Liga globaler “Brands” gehört auch der Pyrotechniker Cai Guo Qiang, erklärt Artnet-Autor Ben Davis bewundernd in dem nun auf Netflix einem Millionenpublikum verfügbar gemachten Dokumentarfilm “Sky Ladder”: wie die Projekte seiner Kollegen verlangen auch die ephemeren Licht- und Rauchkompositionen des Wahl-New-Yorkers zahllose Mitarbeiter, komplexe Logistik und eine heroische Imagination. Mehr noch, seine “Feuermedizin” - so laut Cai die ursprüngliche Bedeutung der farbenprächtigen Explosionen - muß nicht nur bürokratische Hindernisse und finanzielle Hürden überwinden, sondern ist darüber hinaus auch klimatischen Unwägbarkeiten ausgeliefert. 




So scheiterten Cais Versuche, seine mehr als zwanzig Jahre gehegte Vision einer brennenden Himmelsleiter zu realisieren, immer wieder an Wind und Wetter. Der Film des Oscar-Preisträgers Kevin Macdonald kulminiert in rauschhaften Bildern der im vierten Anlauf endlich erfolgreichen, an einem Ballon aufgehängten Installation: unaufhaltsam, atemberaubend zischt das Feuer von Sprosse zu Sprosse und illuminiert für ein paar extatische Sekunden das Morgengrauen über Quanzhou. Cais hunderjährige Großmutter, der er die glühende Jakobsleiter widmete, kann nun sterben.

Meister Cai, wie ihn seine Mitarbeiter nennen, weiß autobiographisches Sentiment, Chinas ikonische Errungenschaften, historische Avantgardekunst wie Zero und Gutai ebenso brilliant in seine Spektakel zu mischen wie die computergesteuerten, auf Millisekunden getimten, vielfarbigen Schießpulver seiner grandiosen Tableaux. 


Als von westlichem Ruhm “vergoldeter” Künstler durfte Cai nicht nur das Feuerwerk für die Olympiade in Peking inszenieren, sondern ihm ist sogar ein wenig Kritik erlaubt: seine halluzinatorischen, an traditionelle chinesische Landschaftsbilder erinnernden Nebel aus nicht-toxischem Sprengstoff sollen auch an die giftigen Schwaden erinnern, für die seine Heimat nun berüchtigt ist, und sein Totenschiff voller ausgestopfter Tiere, das vor zwei Jahren an Shanghais Bund vorbei glitt, gemahnte schauerlich an das Artensterben. Doch vor allem ist Cai Guo Qiang ein Künstler des mitreißenden Schauspiels, des großen Taumels und damit wohl tatsächlich ein Mediziner für unsere Zeit.
Claudia Steinberg

Neues Bauhaus-Museum in Weimar

In Weimar entsteht ein neues Museum zum Bauhaus. Die bedeutendste Architektur- und Kunstschule des 20. Jahrhunderts wurde 1919 dort gegründet. Das Bauhaus habe als “Kulturbotschafter” weltweite Ausstrahlung und Anziehungskraft, sagte Kulturstaatsministerin Grütters bei der Grundsteinlegung.


Modell des neuen Bauhaus-Museums in Weimar
Foto: Klassik Stiftung Weimar

Der Grundstein ist gelegt. Nun kann die Bauphase für das neue Bauhaus-Museum in Weimar starten. Im Neubau soll zukünftig die Weimarer Sammlung zur Vorgeschichte, Geschichte und Nachwirkung des Bauhauses zu sehen sein. Bereits im Frühjahr 2019, zum 100. Jahrestag der Gründung des Staatlichen Bauhauses, soll das neue Museum eröffnet werden.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters nahm an der feierlichen Grundsteinlegung teil. “Das Bauhaus hat als herausragender “Kulturbotschafter” weltweite Ausstrahlung und Anziehungskraft und ist ein Beleg dafür, wie innovative und starke Ideen Jahrhundertmaßstäbe setzen können”, betonte sie.

Weltweiter Kulturbotschafter
“Weimar erinnert uns daran, dass Kulturerbestätten nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern alle drei Bauhaus-Orte – Dessau, Berlin und Weimar - einander ergänzen und zusammengehören”, so Grütters weiter. Daher sei die Zusammenarbeit der Klassik Stiftung Weimar, des Bauhauses Dessau und des Bauhausarchivs Berlin im Bauhausverbund auch von so großer Bedeutung und werde von ihrem Haus unterstützt.


Das neue Bauhaus-Museum ist Teil des Gesamtkonzeptes “Kosmos Weimar” der Klassik Stiftung Weimar. Das Museum wird aus einem Sonderinvestitionsprogramm finanziert, für das der Bund und das Land Thüringen in den Jahren 2008 bis 2017 insgesamt 45 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Auf das neue Bauhaus-Museum entfallen davon rund elf Millionen Euro an Bundesmitteln.

Murnau-Ausstellung im Lenbachhaus in München


                                               


21 Filme drehte Friedrich Wilhelm Murnau in Deutschland, in Hollywood und auf Tahiti. Nun wird sein Werk im Lenbachhaus in München gewürdigt. Mit »Nosferatu«, »Faust«, »Der letzte Mann«, »Sunrise« und »Tabu« schrieb Friedrich 
Wilhelm Murnau (1888 – 1931) Filmgeschichte. 21 Filme drehte er zwischen 1919 und 1930 in Deutschland, Amerika und Tahiti. Ursprünglich hieß der große Regisseur der Stummfilmzeit Friedrich Wilhelm Plumpe. Seinen Künstlernamen gab er sich nach einem wunderbaren Sommer im Jahr 1910 im vom »Blauen Reiter« und der Kunstszene der Moderne heimgesuchten oberbayerischen Ort Murnau. Das Lenbachhaus, mit seinem Schwerpunkt auf der Kunst des Expressionismus, widmet Friedrich Wilhelm Murnau eine Ausstellung, die sich als Hommage an dessen innovative Filmsprache und die einzigartige globale Wirkung der frühen Filmkunst versteht.


Meisterregisseur Friedrich Wilhelm Murnau



Die Ausstellung zeigt Film mit Film. 
Das Lenbachhaus hat zeitgenössische Regisseurinnen und Regisseure eingeladen, sich in Filmessays und Kurzfilmen mit 
Friedrich Wilhelm Murnau zu beschäftigen. Alexander Kluge, Ulrike Ottinger, Guy Maddin und Evan Johnson, Luc Lagier 
sowie ein Team der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film untersuchen in insgesamt fünf Beiträgen jeweils ein Werk Murnaus mit filmischen Mitteln. Die Auswahl der Werke, darunter »Nosferatu«, »Faust« und »Tabu«, bestimmt auch die Materialien, die zusätzlich zu sehen sind: Zeichnungen und Fotografien von Murnau und einigen seiner Mitstreiter, darunter Albin Grau, Hans Natge und Robert Herlth. 

Parallel zur Ausstellung im Lenbachhaus bietet das Münchner Filmmuseum die seltene Gelegenheit, in einer umfassenden Retrospektive alle erhaltenen Filme Murnaus zu sehen, in restaurierten Fassungen und  begleitet von international renommierten Stummfilmmusikern.

In Zusammenarbeit mit Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden
Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Berlin
Filmmuseum München
Hochschule für Fernsehen und Film, München
Versicherungskammer Kulturstiftung


Kuratiert von Karin Althaus

Tuesday, October 11, 2016

Luther-Ausstellungen in den USA

The Morgan Library & Museum in New York zeigt eine schatzkammerartige Ausstellung. Die Ereignisse im Leben Martin Luthers, die für die beginnende Reformation von Bedeutung waren, stehen im Mittelpunkt der Schau. Der Besucher folgt Luther vom Thesenanschlag über den Reichstag zu Worms und die Bibelübersetzung auf der Wartburg bis hin zu seinem Schaffen in Wittenberg. Zahlreiche Autographen und bedeutende Schriften führen das Wirken des Reformators anschaulich vor Augen.
Die umfangreichste Schau wird im Minneapolis Institute of Art zu sehen sein. Sie beleuchtet vor allem das kulturhistorische Umfeld der Reformation im 16. Jahrhundert. Mit Hilfe von archäologischen Funden aus dem Elternhaus Luthers in Mansfeld und dem Lutherhaus in Wittenberg werden die Lebensumstände des Reformators und seiner Familie greifbar.

An der Pitts Theology Library der Candler School of Theology an der Emory University Atlanta entsteht eine Kabinettausstellung. Sie stellt Lucas Cranachs reformatorisches Bildmotiv von „Gesetz und Gnade“ in den Mittelpunkt, erläutert die Ikonographie des Bildes und damit das Hauptanliegen von Luthers Reform: die Auffassung von der Erlösung des Menschen allein durch die Gnade Gottes.

Die Ausstellungen in New York, Minneapolis und Atlanta ergänzen sich inhaltlich und beleuchten Martin Luthers Leben und Wirken in all seinen unterschiedlichen Facetten und Wirkungen bis in die Gegenwart hinein.

Zugleich ist das Projekt “Here I Stand” für alle als digitale Ausstellung abrufbar und weltweit bestellbar. Sie zeigt die wichtigsten Stationen der Reformations-geschichte und ihre Wirkungen. Der Clou: Originalexponate können per 3-D-Drucker ausgedruckt werden.


Albrecht Dürer, Portrait of Bernhard von Reesen 1521, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 
Gemäldegalerie Alte Meister (Inv. Nr. 1871)



Darüber hinaus zeigt das Los Angeles County Museum of Art (LACMA) ab dem 20. November 2016 die Ausstellung „Renaissance and Reformation: German Art in the Age of Dürer and Cranach”. Durch bedeutende Kunstwerke aus den Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin, der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München soll ein neuer Blick auf die Reformation und ihre Zeit geworfen werden. Gezeigt werden unter anderem Meisterwerke von Dürer, Cranach, Holbein, Riemenschneider und Grünewald, die einen Einblick in die religiösen, gesellschaftlichen und politischen Umbrüche der Zeit gewähren.




Atlanta Goethe Institut Ausstellung: “Here I Stand...” Luther Ausstellungseröffnung 2016

Dienstag, 11. Oktober 2016, 19:00 bis 21:00 Uhr
1197 Peachtree Street NE 
Colony Square, Plaza Level
Atlanta, GA 30361-2401
Eintritt: Kostenlos
+1 404 8922388
communication@german-institute.or

Martin Luther (1528) von Lucas Cranach the Elder

Das Goethe Institut Atlanta lädt herzlich zu seiner  Luther-Ausstellung “Here I Stand“ ein – einer Poster-Ausstellung, welche ein umfassendes Bild vom Leben und Wirken des Theologen sowie der Reformation vermittelt.

Im 16. Jahrhundert hat der Theologe Martin Luther durch seine protestantische Reformation das Christentum nachhaltig verändert. Im Jahr 2017 wird der 500. Jahrestag von Martin Luthers Thesenanschlag in Wittenberg als ein Ausgangspunkt der Reformationsbewegung und damit als ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung deutschlandweit in großen Veranstaltungen und Ausstellungen gewürdigt.


Das Projekt wird vom Deutschen Konsulat und dem Goethe-Zentrum in Atlanta in Partnerschaft mit dem Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, dem Deutschen Historischen Museum Berlin und der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha - mit der freundlichen Unterstützung des Auswärtigen Amtes – präsentiert.

Friday, September 23, 2016


Stuttgarter Corbusier-Häuser zum Weltkulturerbe ernannt

Zwei Häuser des Stararchitekten Le Corbusier, die in Stuttgarts Weißenhofsiedlung stehen, werden Weltkulturerbe. Die Unesco-Sitzung in Istanbul wurde wegen des Putschversuchs zweimal unterbrochen.

Das Le-Corbusier-Haus der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, nun Weltkulturerbe
Foto: dpa

Nach zwei vergeblichen Anläufen sind zwei Häuser der Stuttgarter Weißenhofsiedlung des Stararchitekten Le Corbusier zum Weltkulturerbe ernannt worden. Die Unesco nahm am Sonntag in Istanbul Bauten Le Corbusiers in sieben Ländern auf die Liste des Welterbes auf, wie die Kulturorganisation der Vereinten Nationen mitteilte. Ursprünglich sollte die Entscheidung bereits am Samstag fallen. Das Welterbekomitee hatte seine Sitzung aber wegen des Putschversuchs in der Türkei unterbrochen.


Der internationale Antrag für die Aufnahme der Le-Corbusier-Bauten war zuvor zwei Mal abgelehnt worden. An der überarbeiteten Form haben sich jetzt sieben Staaten von drei Kontinenten beteiligt. Neben Deutschland waren das Argentinien, Belgien, Frankreich, Indien, Japan und die Schweiz. Der Antrag betonte die herausragende Bedeutung Le Corbusiers für die Architektur des 20. Jahrhunderts. Das Werk sei Zeugnis der Globalisierung der Moderne, hieß es.

New York - Das Bronx Museum zeigt eine Bestandsaufnahme AIDS bezogener Kunst

Als Mitte der 80er Jahre das große Sterben junger Homosexueller in New York und San Francisco begann, fanden die von Aids betroffenen Künstler im feministischen und politischen Aktivismus der beiden vorangegangenen Dekaden Anleitung für die ästhetische Aufarbeitung der Krise. Der Körper mit seiner plötzlich so präsenten Vergänglichkeit, mit seinen mysteriösen Säften und scheiternden Systemen rückte in den Vordergrund, eine barocke Todesnähe breitete sich in der Kunst aus wie nach den Weltkriegen oder der Influenzaepidemie. ACT-UP protestierte mit den Mitteln der Performance Kunst gegen die Gleichgültigkeit der Politiker und die lahme Reaktion der Pharmaindustrie auf die Katastrophe.

Installation view of Art AIDS America
©Marisol Díaz, 2016
Seit mehr als zwanzig Jahren gibt es Medikamente gegen AIDS, die es vom Todesurteil zur chronischen Krankheit transformieren. Doch noch immer werden jährlich rund 40,000 neue Fälle in den USA diagnostiziert, und die Bronx ist weiterhin eine der am härtesten betroffenen Regionen. So ist die Ausstellung Art AIDS America, die in Los Angeles debutierte und nach ihrer zweiten Station in Tacoma gerade im Bronx Museum eröffnete (bis zum 25. September), dort nicht nur ein Kunstereignis: 

Museumsdirektorin Holly Block, eine der Mitorganisatorinnen, bezeichnet die Show als erste systematische Bestandsaufnahme von AIDS-bezogener Kunst über drei Jahrzehnte hinweg und will sie mit Diskussionen und einer vor dem Museum geparkten mobilen Klinik in die Nachbarschaft einbinden. Arbeiten von Félix Gonzáles-Torres, Keith Haring und Bronx-geborenen Künstlern wie Glenn Ligon und Willie Cole sind unter den 120 Exponaten. Auch Martin Wongs magische, romantische und herzzerreißende Bilder der Lower East Side der 80er Jahre mit ihren erotischen Feuerwehrmännern und leuchtenden Gestirnen über Ruinen, denen das Bronx Museum vor einigen Monaten eine Retrospektive widmete, sind vertreten. In einem Augenblick extremer Gewalt in den USA, die nach aktuellen Formen des künstlerischen Aktivismus verlangt, könnte die Ausstellung Art AIDS America mit ihrem Finger auf der unverheilten Wunde nicht willkommener sein.

Claudia Steinberg

Klimaschutz - Naturerlebnis Stadt

Städtisches Grün wird zum Synonym für Lebensqualität. Die Initiativen “Urban Gardening” und “Essbare Stadt” ernten in Gemeinschaftsgärten. Je weniger versiegelte Fläche, desto kühler die Stadt. Bundesumweltministerin Hendricks will den Bau von Grünflächen verstärkt fördern.

Umweltministerin Hendricks will mehr Natur in die Stadt holen, damit sich die Menschen wohler fühlen.
Foto: Kathrin Harms/laif
Ein Gefühl von Urlaub in der Stadt? Hochsommerliche Temperaturen, kleine Seen, schattige Grünanlagen und Parks tragen dazu bei, dass sich Menschen in ihrer Stadt wohlfühlen. Eine heitere Stimmung breitet sich aus, Cafés und Biergärten sind gut besucht, Schwimmbäder fast überlaufen.In den Städten ist Grün zu einem Synonym für Lebensqualität geworden. Parks, Gärten, Wiesen, Pflanzen auf Dächern, Balkonen und Fassaden sind ein entscheidendes Kriterium für die Wahl des Wohnorts.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks will mehr Natur in die Stadt holen, damit sich die Menschen wohler fühlen. “Ich habe Grün in der Stadt als neuen Schwerpunkt in unsere Städtebauförderungsprogramme aufgenommen”, sagte sie in einem Zeitungsinterview Anfang Juli.
Das Grünbuch zitiert eine Internetumfrage, wonach 98 Prozent der Befragten Grün- und Parkanlagen wichtig sind. Familien bevorzugen Flächen, auf denen Kindern unbeschwert spielen können. Ältere Menschen bevorzugen dagegen befestigte Wege.

“Mit unserm ,Grünbuch’ liegt eine erste Bestandsaufnahme vor, die zeigt, wie vielfältig urbane Grünflächen sind: als Orte der Erholung, Begegnung und Integration. 
So kehre die landwirtschaftliche Produktion als “Urban Gardening” zurück in die Städte. Dabei schließen sich Nachbarn zusammen und legen Gärten an, wie in Berlin-Kreuzberg oder auf dem ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof.
Kinder haben besonders viel Spaß daran, selbst Obst und Gemüse zu ernten. Und ganz allein auf Bäume klettern, unbeaufsichtigt im Matsch spielen, Staudämme bauen und Käfer um die Wette laufen lassen? Das können Kinder auf Pilotflächen in großen und kleinen Städten, den “Naturerfahrungsräumen”.
Die Naturbewusstseinsstudie 2020 belegt, dass die Einwohner das Grün der Städte mit freiem Zugang sehr gern nutzen.   Von 92 Prozent der Bevölkerung wird Natur in der Stadt als Raum für Erholung und Entspannung für sehr wichtig oder eher wichtig erachtet.

15 Hektar am Monte Scherbellino, einer ehemaligen giftverseuchten Müllkippe in Sachsenhausen, und sieben Hektar im Bonameser Nordpark dürfen verwildern: Frankfurt ist Wildnis-Vorreiter. Gemeinsam mit Hannover und Dessau-Roßlau starte die Stadt ins Pilotprojekt des Bundesumweltministeriums “Städte wagen Wildnis”. 
Modellprojekte wie “Blumen- und Stadtwiesen im Straßenbegleitgrün der Stadt Frankfurt” oder “Kirchhain blüht auf” veranschaulichen, wie die Gestaltung naturnaher Grünflächen aussehen kann.

Die Stadt Andernach hat für ihr Konzept “Essbares Andernach” schon mehrere Preise gewonnen. “Flächen, die früher richtige Schandflecken waren, sehen jetzt richtig toll aus”, sagt Stadtsprecher Christoph Maurer der dpa.Zuerst wurden Tomaten gepflanzt, es folgten Obstbäume, Kräuter, Salat. Im Park am Rhein weiden Schafe, im Stadtgraben laufen Hühner herum. 

Auch in Darmstadt sollen Grünflächen und Brachen genutzt werden, um Obst, Gemüse und Kräuter anzubauen.Gebäude mit Wärmedämmung, außen liegende Verschattungselemente, Sonnenschutzgläser und die Begrünung von Gebäudefassaden und -dächern sorgen für Abhilfe, ebenso wie  Grün- und Gewässerflächen. 

Vandalismus gibt es so gut wie nicht. “Wenn Brachflächen zu Gemeinschaftsgärten werden, identifizieren sich die Leute stärker mit ihrem Quartier und fühlen sich auch dafür verantwortlich”, sagt Juliane Wagner vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).

Josef Albers - Magie mit eigenen Augen erlebt

“Josef Albers ist einer der wenigen Künstler, dessen Werk auf Anhieb identifizierbar ist”, sagt David Leiber, ein Partner der Zwirner Galerie, und meint natürlich sein1949, im Alter von 62 Jahren begonnenes Opus “Hommage an das Quadrat”, das ihn bis an sein Lebensende beschäftigte. Die erste dieser ebenso systematischen wie sinnlichen Explorationen über die Wechselwirkungen von Farbe und Form, an die sich Albers mit einer Arbeit in Weiß, Grau und Schwarz herantastete, wird im Zentrum einer Ausstellung im November in New York stehen, mit der die Galerie ihre Zusammenarbeit mit der Josef und Anni Albers Stiftung vorstellt: im Juni hatte die von dem Künstlerpaar 1971 gegründete Organzisation David Zwirner unter namhaften Konkurrenten wie Dominique Lévy, Hauser & Wirth und dem bisherigen amerikanischen Galeriepartner Pace als neuen Repräsentanten auserkoren. 

Josef und Anni Albers. 
Foto: The Josef and Anni Albers Foundation, 
Inc./Artists’ Rights Society, New York

Nach dem Tod von Leslie Waddington, einem Connoisseur und Galeristen der alten Schule, der die Stiftung von Anbeginn in London vertreten und eine enge Freundschaft mit ihrem Direktor Nicholas Fox Weber gehegt hatte, suchte man nach einer zeitgemäßen Präsenz auf dem internationalen Markt. “Wir konnten ein komplettes Paket mit einem Team von Experten und hauseigenen Kuratoren anbieten”, erklärt Leiber. Darüber hinaus zählen von Albers nachhaltig beeinflußte Künstler wie Dan Flavin, Ad Reinhardt und Donald Judd, der zum Beispiel von der “Lyrik und jubelnden Ambiguität” der Luminant-Serie schwärmte, zum Zwirner Portfolio. 

Anni Albers, die 1949 als erste Designerin eine Soloausstellung im MoMA bekam (16 Jahre bevor ihr Mann dort seine große Retrospektive hatte), ist dagegen mit ihren Textilien eine Ausnahme im Galerieprogramm. Trotz zahlreicher Ausstellung - zum Beispiel auch in der Tate Gallery im kommenden  Herbst - “stand Anni immer ein wenig in Josefs Schatten”, meint Leiber. “Sie waren ein sehr starkes Paar, und es herrscht dieser Irrglaube, dass die Beiden auch viel zusammengearbeitet hätten - in Wirklichkeit erstreckte sich ihre Kooperation bestenfalls auf das Bemalen von Ostereiern.” Gemeinsam war ihnen der unverwüstliche Idealismus der europäischen Moderne und die Neugierde auf die neue Welt - nicht nur auf die Vereinigten Staaten, sondern auch auf Kuba und vor allem Mexiko, wohin sie rund dreißig Reisen unternahmen.

 Ihre Souvenirs von diesen Aufenthalten vermachten sie schließlich dem Peabody Museum of Natural History, Teil der Yale University, wo beide lehrten. Vor allem aber verarbeitete Anni ihre Begegnungen mit der mesoamerikanischen Kultur in ihren eigenen Meisterwerke, und Josef verhalfen sie zur Verfeinerung seiner Relativitätstheorie der Farbe, die er bereits mit seinen Glasarbeiten am Bauhaus zu erkunden begonnen hatte. “Wenn man sich Beobachtung verschreibt, wie die Dinge von ihrem Umfeld beeinflußt werden und umgekehrt,” sagt Leiber, “dann kann man Magie mit eigenen Augen erleben.”

Claudia Seinberg

New York - Drastische Sparmaßnahmen stehen an: Das berühmte Metropolitan Museum in finanziellen Nöten

In seinen 31 Jahren als Direktor des Metropolitan Museums hat Philippe de Montebello die Gegenwartskunst sträflich vernachlässigt. Als Thomas P. Campbell, der 2008 die Leitung der Institution mit ihren 2500 Mitarbeitern übernahm, im März letzten Jahres den britischen Architekten David Chipperfield zur Erweitung und Umstrukturierung des unübersichtlichen Südwestflügels für moderne und zeitgenössische Werke anheuerte, schien das Museum endlich im einundzwanzigsten Jahrhundert angekommen zu sein - nicht zuletzt verdiente das kürzlich erhaltene Milliardengeschenk kubistischer Kunst von Leonard Lauder eine würdige Unterkunft. Mit der achtjährigen Pacht des einstigen Whitney Museums an der Madison Avenue bewies das Metropolitan in diesem Frühjahr, dass es die überragende Position neuer Kunst auf dem Markt, in den Galerien und auch in den Museen zur Kenntnis genommen hatte. 
Mit Kunst aus mehr als 5 Jahrtausenden zeigt das Metropolitan Museum of Art die beste Seite menschlicher Kreativität rund um den Globus

Doch kurz nach der Eröffnung des Met Breuer, die mit einem neuen, heftig kritisierten Logo im Rahmen einer drei Millionen Dollar Branding Kampagne einherging, bekannte Campbell finanzielle Schwierigkeiten und verkündete drastische Sparmaßnahmen: der sich auf drei Etagen erstreckende, auf 600 Millionen Dollar angesetzte Chipperfield-Umbau wurde auf unbestimmte Zeit vertagt, und Kündigungen erklärte er als unvermeidbar - nicht Hunderte, aber Dutzende Angestellte werden ihren Posten verlieren, denn schließlich verschlingen Löhne rund 70 Prozent des 300 Millionen Jahresetats. Ausstellungen sollen sich zukünftig über längere Zeiträume erstrecken und weniger Leihgaben enthalten, da sie hohe Versicherungssummen verschlingen. Ohne diese Interventionen würde sich das derzeit auf zehn Millionen Dollar veranschlagte Defizit binnen 18 Monaten vervierfachen. Einen kausalen Bezug zur fünfzehn Millionen Dollar Renovierung des Breuerbaus mit seinen noch höheren Betriebsausgaben sowie den Kosten zur Ausbildung des 110-köpfigen Personals bestritt Campbell.

Vielmehr macht Campbell jenseits “zyklischer Schwankungen” vor allem Gehaltserhöhungen - sein eigenes Salär beläuft sich auf 1,3 Millionen Dollar pro Jahr -, den Rückgang von Geldern aus Restaurants und Souvenirshops sowie niedrigere Ticketeinnahmen verantwortlich: auf Gerichtsbeschluß mußte das Museum kürzlich seinen Eintrittspreis von 25 Dollar als “vorgeschlagenen” statt als “empfohlenen” Beitrag ankündigen, denn eigentlich ist der Besuch umsonst.  Trotz Campbells Behauptung des Gegenteils kann man sich des Verdachts nicht erwehren, dass sich das Metropolitan mit der Übernahme des Hauses an der Madison Avenue ein wenig überfordert hat. Dem Fundraising für Chipperfields eleganten Plan wird es jedenfalls nicht gerade helfen, wenn das Museum seine Rechnungen nur mühsam zahlen kann. Eine Studie der University of Chicago aus dem Jahr 2012 belegte, dass sich viele Kultureinrichtungen durch ambitionierte architektonische Projekte in den Ruin stürzen. Hoffentlich kann sich das Metropolitan mit seiner überschaubaren Finanzkrise vor einer noch größeren bewahren. 

Claudia Steinberg

Museum Kunst der Westküste - Max Liebermann und das Meer

Auf dem Bild: Badende Knaben, um 1899, Öl auf Malkarton, 33 x 41 cm

Woran denkt man, wenn man an Föhr denkt? Vielleicht: kleine nordfriesische Insel vor der Küste Schleswig-Holsteins, beliebt bei Touristen, Natur, Ruhe, Sandstrände, Fischbrötchen, langweilige Schwester von Sylt. Woran man eher nicht denkt, das ist Hochkultur. Ein Fehler, schließlich steht im Vierhundert-Einwohner-Dorf Alkersum seit einigen Jahren das privat geführte „Museum Kunst der Westküste“.

In Alkersum sieht es so aus, als hätten die Bewohner die Rasen ihrer Vorgärten tatsächlich mit der Schere gekappt. Durch einen unscheinbaren Eingang, einen winzigen Schlitz zwischen zwei Häusern, kommt man schließlich hinein ins „Museum Kunst der Westküste“. An der vorderen Front wurde ein historischer Gasthof wiederaufgebaut, in den schon vor über hundert Jahren Künstler wie Otto Heinrich Engel einkehrten und in dessen zweiter Etage sich jetzt ein Teil der Ausstellungsfläche befindet. Der Besuch beginnt schon in dem Augenblick, in dem die Fähre das Festland verlässt. 

 Nach rund fünfzig Minuten spuckt das Schiff seine Gäste in der Hafenstadt Wyk aus. Weiter geht es mit dem Rad durch die weite Landschaft, vorbei an sattgrünen Wiesen, weidenden Pferden, wilden Apfelbäumen und reetgedeckten Häusern, mit Sprossenfenstern und rosenberankten Gittern an den Fassaden.

2009 wurde der rund dreizehn Millionen teure Bau fertiggestellt. Außer Wechselausstellungen von Gegenwartskünstlern, die während eines Artist-in-Residence-Programms einige Zeit auf Föhr verbringen, wird immer auch eine Auswahl der etwa siebenhundert Werke umfassenden ständigen Sammlung gezeigt, deren Schwerpunkt auf Arbeiten zum Thema Meer und Küste aus den Jahren 1830 bis 1930 lliegt.
Max Liebermann ist in der Schau „Max Liebermann und Zeitgenossen“ mit über 30 Werken vertreten. 

Derzeit ist die Schau „Max Liebermann und Zeitgenossen“ zu sehen, mit rund achtzig Bildern unter anderen von Eugène Boudin, Max Beckmann, Emil Nolde und natürlich Liebermann, der mit über 30 Ölbildern, Druckgrafiken und Zeichnungen vertreten ist, darunter Variationen entspannter Badeszenen und kraftvoller Pferdemotive. Für einen überraschenden Déjà-vu-Effekt sorgt das Gemälde „Zwei Reiter am Strand“ aus dem Jahr 1910, das seinem neun Jahre älteren Zwilling zum Verwechseln ähnlich sieht, der zuletzt als Teil der Sammlung Gurlitt einige Bekanntheit erlangte.
Der Schwerpunkt der ständigen Ausstellung des Museums liegt auf Meeres- und Küstenmotiven. Auf dem Foto: Max Liebermann, Jäger in den Dünen bei Noordwijk, um 1913, Öl auf Leinwand, 50,5 x 68,5 cm
Die vielen Küstenmotive finden ihre Fortsetzung in den beiden jüngst eröffneten Ausstellungen zeitgenössischer Künstler. Die großformatigen Acryl-Bilder des in Husum geborenen Jochen Hein zeigen das Meer, mal ruhig und durchsetzt von Lichtreflexen, mal aufgewühlt, brodelnd, bedrohlich. Was auf Heins Bildern mit grobem Malwerkzeug und unter Einfluss des Zufalls entsteht - die Farbe wird mit dem Pinsel auf die Leinwand gespritzt -, mutet erstaunlicherweise fast fotografisch an. 

Die Werke der Ukrainerin Mila Teshaieva dagegen funktionieren umgekehrt: Sie wirken wie Malerei, sind aber Fotografien. Die Künstlerin arbeitet mit der Methode des „Light Painting“, bei der nachts in völliger Dunkelheit während einer sehr langen Belichtungszeit Ausschnitte eines Motivs durch eine Taschenlampe diffus beleuchtet werden.

Thursday, June 23, 2016

Jürgen Prochnow wurde 75: In Hollywood einer der erfolgreichsten Deutschen

Mit seinem markanten, narbigen Gesicht gehörte er für ein paar Jahre zu den aufregendsten Gesichtern des “Neuen Deutschen Films”, spielte für Regisseure wie Reiner Werner Fassbinder, Reinhard Hauff und Volker Schlöndorff eindringliche Rollen. Und sein Mitwirken im frühen Wolfgang-Petersen-Film “Die Konsequenz” war mitverantwortlich für eine aufregende Episode deutscher Film- und Fernsehgeschichte: “Die Konsequenz” stieß eine breite Diskussion um Homosexualität und Öffentlichkeit an  “Die Konsequenz” (1978) war die vielleicht erste homoseexuelle Liebesgeschichte auf deutschen Bildschirmen – und der Bayerische Rundfunk blendete sich prompt bei der Ausstrahlung aus. Mit viel Einfühlungsvermögen stellte Prochnow einen Schauspieler dar, der sich im Gefängnis in den Sohn eines Aufsehers verliebt und auch nach der Entlassung mit ihm zusammenbleiben möchte.

“Das Boot” machte ihn berühmt: Der seit 30 Jahren in den USA arbeitende deutsche Schauspieler Jürgen Prochnow wurde am 10. Juni 75.

Jetzt, wo der am Theater geschulte und jung gebliebene Schauspieler seinen 75. Geburtstag (10.6.) feiern konnte, darf er zurückblicken auf eine Karriere mit vielen Höhen, ein par Tiefen und der Gewissheit, dass er zu den wenigen deutschsprachigen Schauspielern nach dem Zweiten Weltkrieg gehört, die auch in Hollywood ihre Spuren hinterlassen konnten.
Doch Jürgen Prochnow biss sich durch - auch in den 1990er Jahren hinterließ er im US-Filmgeschäft seine Spuren. Sein kerniges Aussehen prädestinierte den Schauspieler für Rollen in körperbetonten Action - und Historienfilmen. So überzeugte er 1991 als Sir Miles Folcanet in der Robin-Hood-Verfilmung von Regisseur John Irvin.Doch Jürgen Prochnow biss sich durch - auch in den 1990er Jahren hinterließ er im US-Filmgeschäft seine Spuren. Sein kerniges Aussehen prädestinierte den Schauspieler für Rollen in körperbetonten Action - und Historienfilmen. So überzeugte er 1991 als Sir Miles Folcanet in der Robin-Hood-Verfilmung von Regisseur John Irvin.


Jürgen Prochnow ist nach wie vor gut im Geschäft. Zuletzt konnten ihn die deutschen Kinozuschauer in der Romanverfilmung von Martin Suters Wirtschaftsthriller “Die dunkle Seite des Mondes” sehen. Dort spielt Prochnow den ehemaligen Mandanten eines Wirtschaftsanwalts (Moritz Bleibtreu)

Bernd Desingers neuer Roman “ZZZ”: Senioren, die jüngste Generation auf der Krimi-Szene



Was für ein düsteres Zukunftsbild malt Bernd Desinger in seinem neuen Roman “ZZZ”. Hinter diesen drei letzten Buchstaben des Alphabets verbirgt sich die Lösung “Zeltstadt Zeche Zollverein”. So ist die Lokalität schon gekennzeichnet: Das Ruhrgebiet, genau gesagt Essen. Dabei wollte der gebürtige Oberhausener nicht unbedingt ein Regionalstück schreiben. “Eher habe ich Essen und insbesondere die Zeche Zollverein ausgewählt, da sie über eine Symbolkraft verfügt. Sie ist ein Symbol für eine Region, die in der Vergangenheit sehr reich war. Das Ruhrgebiet war der Motor Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg,” sagt Bernd Desinger. Autor verschiedener Bücher und seit 2009 Leiter des Düsseldorfer Filmmuseums.  

Doch von der blühenden Idustrie-und späteren Kulturstadt ist anno 2032 nichts mehr zu merken. Essen ist an einem Tiefpunkt angekommen, die Nachbarstadt Duisburg wurde von den Chinesen gekauft.  Dieses Bild ist auf ganz Deutschland übertragbar. Die größte Bedrohung ist die Altersarmut. Ein Problem, das wir uns heute noch nicht vorstellen können, das sich aber schleichend anbahnt. Auf dem Zechengelände Zollverein vegetieren tausende von Senioren in der eng errichteten Zeltstadt. Und viele dieser alten Menschen sind kriminell. Sie wehren sich gegen ihre unverschuldete Armut - notfalls eben mit gesetzwidrigen Tricks. Desinger: “Wenn wir der aktuellen Entwicklung nicht aktiv entgegensteuern, wird die Altersarmut zu einem großen Problem werden”

Straftaten von Alten sind für Polizei und Gerichte zur größten Herausforderung geworden. Denn die Senioren, inzwischen zur neuen Problem-Generation mutiert, fordern ihr legitimes Recht zu leben mit Gewalt ein. Außerdem sind die kriminellen Senioren für die Polizei viel schwerer zu fassen, da sie mehr Lebenserfahrung und so auch den besseren Überlick haben. “Auch der Immobilienmarkt ist ebenso betroffen”, sagt Bernd Desinger. “Wenn die Mieten weiter so steigen, wird es zu einer großen Wohnungsnot kommen. Ich hatte ein großes Bedürfnis, dieses Buch zu schreiben, ich musste diese Themen bearbeiten.” Und weiter: “Es gab keine Vorlage. Der gesamte Inhalt ist meine ureigenste Erfindung. Diese Art von Roman ist auch etwas Neues, da in ihm eine Kriminalhandlung auf eine Science-Fiction-Geschichte stößt.”

Bernd Desinger, Buchautor und Leiter des 
Filmmuseums Düsseldorf


Sie beginnt so: Essen 2032. Ein spektakulärer Mord an einem Flaschensammler, der von seinem Mörder bestialisch zugerichtet wurde, erschüttert die Stadt. Die Ermittlungen führen Milan Dragovich, Hauptkommissar für den neuen Zweig Altenkriminalität, und seine junge Kollegin Cigdem Flick bald auf das Gelände des ehemaligen Kulturdenkmals der Zeche Zollverein, im Polizeijargon ZZZ genannt. Apropos Kultur. Daran wird natürlich als erstes gekürzt. Desinger “Da das Land kein Geld mehr hat und Kulturförderung “Kann-Ausgaben” sind, muss an ihr gespart werden. Die Kulturlandschaft wird also ausgedünnt, um die Sozialausgaben - die “Muss-Ausgaben” - auf einem gewissen Niveau halten zu können.” Was allerdings auch nicht immer gelingt.

 Die Beamten treffen zunächst auf eine Mauer des Schweigens. Dann macht Dragovich eine Begegnung mit der Prostituierten Nelly stutzig. Unterstützt von Cigdem Flick setzt er nun alles daran, die Hintergründe der Tat aufzudecken. Im Dschungel der »ZZZ« und in der ehemaligen Zechenanlage stoßen die Kommissare auf immer neue Ungereimtheiten und machen schließlich eine ungeheuerliche Entdeckung... 
Spannung bis zur letzten Seite ...

 Über den Autor:

Bernd Desinger, geboren 1962 in Oberhausen, studierte deutsche Sprache und Literatur, Geschichte, Psychologie und Film. Viele Jahre beim Goethe-Institut lebte und arbeitete er unter anderem in Toronto, München und zuletzt in Los Angeles. Seit 2009 leitet er das Filmmuseum Düsseldorf. Als Schriftsteller veröffentlichte Bernd Desinger mehrere Romane, Rocklyrik und Gedichte sowie eine Aphorismen-Sammlung. Daneben ist er auch Herausgeber verschiedener Sachbücher. Bereits in seiner Zeit als Musiker hatte Bernd Desinger sämtliche Texte für seine Bands geschrieben. Als Romanautor trat er zum ersten Mal mit dem surrealen Thriller “Der Schütze” an die Öffentlichkeit. Als nächstes folgte unter dem Titel “Unhadronische Materie” eine Auswahl seiner Rocklyrik und Gedichte. 2012 erschien der Roman “Arthurs Entführung”, das erste Buch der Trilogie “Der Doppelweg.” Im Frühjahr 2013 kam dann “...durch’s Jahr kommen” heraus, eine Sammlung von 366 Aphorismen und Sinnsprüchen.  Der zweite Band der Trilogie “Der Doppelweg” ist für Herbst 2016 angekündigt.

Los Angeles - Das Amerikanische Filminstitut ehrt Werner Herzog




Das American Film Institute (AFI) hat bekanntgegeben, dass das Dokumentarfilmfestival AFI DOCS den renommierten Filmemacher Werner Herzog ehren wird. Im Rahmen von AFI DOCS werden Meister des Dokumentarfilms gewürdigt, die Zuschauer mit Sachgeschichten über menschliche Erfahrungen inspiriert haben. Ein Gespräch mit Herzog sowie Filmausschnitte aus seinem faszinierenden Lebenswerk stehen im Mittelpunkt des am 24. Juni 2016 im „Newseum“ stattfindenden Symposiums.

Udo Lindenberg - Panik-Rocker wird 70

Kaum zu glauben: Udo Lindenberg feierte seinem 70. Geburtstag. Und da er nie ein Mann der leisen Töne war, feierte er auch gleich mit 13000 tobenden Fans in der Frankfurter Festhalle und rockte mit seiner Panik-Gang  was das Zeug hergab. Was heiß hier schon 70...
Er gilt als Wegbereiter des deutschen Rock, viele Fans lieben Udo Lindenberg aber vor allem als Sprach-Jongleur. Sein Leben - und seine Sprüche.”Udopium - geiles Wortspiel, ne?”, sagt Udo Lindenberg und grinst. “Deutschland nimmt wohl eine neue Droge”, erklärt er sich das, was um ihn herum gerade passiert.

Mit dem kurz vor seinem  Geburtstag vorgelegten neuen Studioalbum “Stärker als die Zeit” rast Udo seit April mit Volldampf durch die Medienkanäle. In den Charts platzierte er sein drittes Nummer-Eins-Album, und er selbst glaubt, eine Rakete gefrühstückt zu haben, weil alles so “geilomatik” nach oben “zischt”.


Während die einen ihn zu Deutschlands einzigem wahren Rockstar ernennen, befassen sich andere mit dem Phänomen des Panikrockers. Warum ihn plötzlich (fast) alle lieben? “Weil ich geile Sachen mache” sagt er mit gewohnter Bescheidenheit...

Doch recht hat er!



Bild: Plattencover “Stärker als die Zeit” von Udo Lindenberg

Bildhauerin Louise Bourgeois: “Alles Dekorative macht die Frau zur Dienerin des Heims”

Acht Jahre sind vergangen, seit Louise Bourgeois 1938 aus Paris nach New York übersiedelte. Dank ihres selbstbescheinigten, “furchtbaren Verlangens zu gefallen” bemüht sie sich, dem Kunstgelehrten Robert Goldwater eine gute Gattin, seinen Freunden und Kollegen eine tadellose Gastgeberin und ihren drei Söhnen eine aufmerksame Mutter zu sein. Doch nun, 1946, bricht ihre Verzweiflung und Rage über die Zwangsjacke dieser weiblichen Rollen mit einer Serie kleiner Bilder unter dem Titel “Femme Maison” ans Tageslicht: dem Kopf der Frau ist ein Haus wie ein Käfig übergestülpt, der sie blind und unsichtbar zugleich macht, während ihr nackter, der Arme beraubter Leib schutzlos der Welt ausgeliefert ist - ein archetypischer Alptraum. Das Motiv der Häuslichkeit als Gefangenschaft und Identitätsverlust greift die Künstlerin immer wieder auf:  1983 ist die Haus-Frau gänzlich unter einer Robe aus wallendem Marmor wie unter einer Burka verborgen, ihr Haupt von einem kleinen Schachtelbau gekrönt; zwanzig Jahre später sitzt ein viel zu eng bemessenes Haus auf dem gewölbten Bauch einer liegenden Stoffgestalt. 

„Der schöpferische Impuls für alle meine Arbeiten ist in meiner Kindheit zu suchen“, sagte Louise Bourgeois. Alle ihre Arbeiten der in New York lebenden Französin kreisen um Liebe, Hass, Gewalt, Abhängigkeit und Aufbegehren innerhalb der Familie.

Im Laufe ihres Lebens soll das Townhouse, das Louise und ihr Mann 1962 in einer idyllischen, baumbestandenen Straße in Chelsea kauften, jedoch zu ihrem “freundlichen Refugium” werden: “Es ist wie eine meiner Zellen, eine meiner Höhlen”, sagt sie. Tatsächlich sind die Metallgehäuse, in die sie in den 90er Jahren Reliquien ihrer mythologisierten Vergangenheit, aber auch Kunstwerke sperrt (zum Beispiel eine Marmorminiatur ihres Elternhauses hinter einer Guillotine), den Dimensionen ihrer Zimmer an der West 20th Street verwandt. Als Louise Bourgeois um die Jahrtausendwende nicht mehr ausgeht, wird ihr das Haus zur Welt. Einzig die Menschenschlange vor der Suppenküche der St. Peter’s Church gegenüber lockt sie an das Fenster ihrer spartanischen Kammer in der Belle Etage. Von Besuchern mitgebrachte Bouquets läßt sie umgehend auf den Treppenstufen der Kirche deponieren - wie alles Dekorative machen ihres Erachtens auch Blumen die Frau zur Dienerin des Heims: “Ich benutze das Haus”, insistiert sie. “Das Haus benutzt mich nicht.

Das Interieur des Nachbarhauses, das die Künstlerin 2008 dem Kostümdesigner  William Ivey Long abkaufte, strahlt dagegen in kalkigem, kaltem Weiß. Die goldene Pracht des Vorgängers ist übertüncht, nur ein Kristalllüster schwebt noch über einem Glaskasten, der eine kleine, rosa, merkwürdig fleischliche Stoffskulptur wie das letzte Exemplar einer zugrunde gegangenen Spezies beherbergt. In zwei Vitrinen ruhen Dokumente aus Louises Leben: ein von 20 Frauen, darunter Lucy Lippard und Nancy Spero, unterzeichneter Brief an MoMA-Direktor William Rubin aus dem Jahr 1973, der eine Bourgeois-Ausstellung fordert (zu der es dann auch 1982 endlich kommt); eine Gasrechnung von ihrem ersten eigenen Apartment an der Rue du Seine; ihr Studentenausweis, ihre Reisepässe, winzige Notiz- und Zeichenbücher und sogar eine Seite aus dem Kontobuch ihrer Pariser Galerie, wo sie Zeichnungen und Drucke verkaufte: Modigliani, Bonnard - und einige Picassos an Robert Goldwater: so lernte sie ihn kennen. 

Die von Bourgois bereits 1980 gegründete Easton Foundation profitiert von ihrer lebenslangen Neigung, Schriftstücke unterschiedlichster Natur als Andenken aufzubewahren. Darunter auch die Korrespondenz mit dem mächtigen, verhaßten Vater, den sie in ihrem Werk immer wieder vernichten mußte. Doch schreibt die Tochter aus New York in verbindlichem Ton - über die Lichter des nächtlichen Harlem, die “wissenschaftliche, grausame, romantische Qualität” der Stadt. Von der Wand blickt der Verräter - in Uniform, die Zigarette in der Hand - mit selbstbewußtem Charme aus einem gerahmten Familienportrait in den langen, schmalen Raum. In der Nähe hängt ein Bild von Louise auf der Treppe ihres Hauses in einem knielangen, ganz aus Brüsten bestehenden Kostüm für eine Performance in der Patricia Hamilton Gallery, 1978.  In den oberen Etagen hat die Stiftung, der beide Häuser unterstehen, zwei Plätze für Stipendiaten eingerichtet - vor Ort können sie die rund 3000 bisher katalogisierten Papiere in Gesellschaft einiger auserwählter Werke studieren. Wie einer an die menschliche Wirbelsäule erinnernde Steele von archaischer Intensität - sie zählt zu den Personages, Bourgeois’ frühen, aus Fundstücken vom Dach ihrer ersten New Yorker Wohnung  konstruierten Totempfähle, die Freunde und Familie in Europa symbolisierten.

„Raum existiert gar nicht, er ist nur eine Metapher für die Strukturen unseres Daseins“ – Louise Bourgeois


Sie lebte in Brooklyn, noch ehe das New Yorker Stadtviertel zum Hipster-Mekka erkoren und eine Monatsmiete dort unerschwinglich wurde. Überhaupt hatte Louise Joséphine Bourgeois, 1911 in Paris geboren, vor allem eines: ihre ganz eigene Vision vom Leben und von der Kunst. Die Bildhauerin aus einer bürgerlichen Familie, erlangte mit ihren Skulpturen und Installationen in der Neuen Welt und von dort aus auch auf internationalem Parkett Weltruhm erlangte: 


Der Kontrast des so elegant renovierten Archivs zu seinem verlebten, vergilbten, verschrammten Zwilling nebenan könnte nicht radikaler sein. Auf einer kleinen Konsole in der Diele steht ein Glas mit blaßblauen Zuckermandeln aus unbestimmter Zeit vor dem Tod der vernaschten Künstlerin im Jahr 2010. Eine ausgetretene Treppe führt in das Schlafzimmer, das Louise von dem Morgen, da Robert Goldwater unvermutet an einem Herzinfarkt erlag, zum Mausoleum erklärte - seit dem 26. März 1973 verharrt ein trüber Shalimar-Flakon auf der Kommode, neben dem Bett hängt eine Zeichnung von LeCorbusier, einem guten Freund, im überquellenden Bücherregal  preßt Die Weisheit Laotses gegen The Cosmopolitan Girl und Miss Lonelyhearts ist neben den Mythos der Geisteskrankheit geraten, Auf der anderen Seite des Flurs liegt der Zufluchtsort der plötzlichen verwitweten Künstlerin - ein karges Zimmer mit einem schmalen, kaum benutzen Bett: hier entstanden ihre Insomnia-Drawings, gezeichnet in den frühen Morgenstunden und voller Zorn gegen die quälende, oft 48 Stunden anhaltende Wachheit in die untere Etage geworfen, wo sie ihr langjähriger Assistent und jetziger Direktor der Eston Stiftung, Jerry Gorovoy am nächsten Tag aufsammelte. 

2005 verließ Louise Bourgeois den einsamen ersten Stock auf immer und lebte fortan in ihrer Kemenate mit den fleckigen Wänden, auf die sie in großen Ziffern die wichtigsten Telefonnummern notiert hatte. Ihr Versteck lag hinter der Küche mit der einen Kochplatte und dem von roter Gouache wie mit Blut gebeizten Holztischisch, auf dem sie jeden Sonntag Vodka und Whiskey für ihre Gäste bereitstellte. Seit Roberts Abwesenheit ihr die Wochenenden unterträglich machte, folgten Künstler und Schriftsteller der Einladung, ihre Arbeiten zu präsentieren. Wie Schulkinder hockten sie auf den niedrigen Stühlen in der Hoffnung auf einen ermutigenden Orakelspruch von der winzigen Person in den altmodischen Kleidern - oft verließen sie jedoch das Haus in Tränen, eskortiert von zwei empathischen “Body Guards”. Noch ist Louise Bourgeois an diesem Schauplatz so vieler Emotionen präsent. Wird er seine Aura verlieren, wenn die vollbespickte Pinwand mit den alten Fotos, Zetteln, Zeitungsausrissen und Medallien gereinigt an ihren Platz zurückkehrt? Wenn die Decke von der blätternden Farbe befreit ist und die Fenster zum ersten Mal seit vielen Jahren geputzt sind, um die Räumlichkeiten in den nächsten Monaten auf Besucher vorzubereiten? Ein paar Seelenmoleküle mögen sich verflüchtigen, aber andererseits hat Louise Bourgeois die Patina nicht kultiviert, und der Staub war ihr einfach total gleichgültig.

Claudia Steinberg

Maria Schraders Film über Stefan Zweig: “Vor der Morgenröte”

Der berühmte Schriftsteller flüchtete vor den Nazis. Das Exil brachte Zweig kein Glück. In Brasilien nahm er sich mit seiner Frau 1942 das Leben. Maria Schraders Film blickt zurück - hat auch die Gegenwart im Visier.
Maria Schrader hat das Leben von Stefan Zweig im Exil in sechs filmische Episoden aufgesplittert, ihr Film ist keine streng narrativ erzählte Schriftstellerbiografie. Im Prolog zeigt sie den berühmten aus Europa kommenden Autor Stefan Zweig (Josef Hader, r.) bei einem Empfang in Rio de Janeiro. In der brasilianischen Hauptstadt wird er wie ein Staatsgast mit entsprechendem Bankett begrüßt.

“Flucht in einem anderen, größeren Kontext”
Maria Schrader ist heute selbst von der Aktualität überrascht: “Wenn man (…) die Schilderungen der Flucht von Friderike Zweig (Stefan Zweigs erste Ehefrau, Anmerk. d. Red.) liest, wie sie mit Tausenden Menschen am Quai von Marseille steht, die alle vor Krieg und Verfolgung flüchten, dann sieht man die Menschen, die heute auf der anderen Seite des Mittelmeers mit ähnlichen Motiven ihr Leben riskieren, um dieses Meer in die entgegengesetzte Richtung zu überqueren, schon in einem anderen, größeren Kontext.”

Stefan (Josef Hader) und Lotte Zweig (Aenne Schwarz) in Bahia

Es sei doch “purer Zufall und pures Glück, dass man auf einem Teil der Welt lebt, von dem man gerade nicht fliehen muss”, fügt Schomburg hinzu. Der Blick auf das Thema sei durch die Beschäftigung mit Zweig “zugleich abstrakter und konkreter” geworden: “Abstrakter, weil man versteht, dass diese großen Emigrationsbewegungen schon immer tragischer Teil der Menschheitsgeschichte waren; konkreter, weil man sich in einer anderen Art und Weise mit Flüchtenden identifizieren kann.

“Zwischen Hoffnung und Verzweiflung: Stefan Zweig
“Vor der Morgenröte”, Maria Schraders zweite Regiearbeit nach ihrer fulminanten Romanadaption “Liebesleben” im Jahre 2007, fächert die letzten Lebensjahre Stefan Zweigs im Exil auf. Sechs Episoden aus dem Leben des Autors zeigt Schrader, sie spielen in Brasilien, Argentinien und in den USA - und zeigen einen Mann zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen Dankbarkeit für die Aufnahme in der neuen Heimat und der gleichzeitigen Erkenntnis, dass diese zweite Heimat wohl doch kein Ersatz sein kann für die alte.

Historisches Foto: Stefan und Lotte Zweig 1938

Stefan Zweig war ein Feingeist und auch in den fürchterlichsten Stunden der Verzweiflung fern der geliebten Heimat, war der gebürtige Wiener keiner, der sich zu Hasstiraden auf Deutschland und Österreich hinreißen ließ. “Zweig war aus unserer Sicht jemand, der sich weigerte, die Dinge holzschnittartig zu betrachten und dessen kreativer Impuls vor allem aus der Begeisterung für Ideen und Menschen wuchs“, so die Filmemacher. Die Tragik habe darin bestanden, dass “dieser hochsensible Meister der Grautöne” sich in einer Zeit wiedergefunden habe, “in der es nur noch schwarz und weiß gibt, in der die Differenzierung zunehmend unmöglich ist.”
Stefan Zweig: “...ich würde nie gegen ein Land sprechen.”
Das zeigt auch der Film. Beispielsweise in den Szenen in Buenos Aires. In der argentinischen Hauptstadt findet ein großer Schriftstellerkongress des P.E.N. statt. Viele Teilnehmer fordern von Zweig, der als Ehrengast zum Kongress geladen ist, eine eindeutige, scharfe Verurteilung des Hitlerregimes. “Ich werde nicht gegen Deutschland sprechen. Ich würde nie gegen ein Land sprechen. Und ich mache keine Ausnahme”, lautet die Erwiderung des ins Exil vertriebenen Autors.

In New York 1941: Stefan Zweig hadert mit seinem Schicksal

Erschreckt zeigte sich Stefan Zweig auch von den Begleitumständen des Kongresses, der Berichterstattung durch die Medien: “Die Zeitungen verfolgen einen von früh bis nachts mit Photographien und Stories. (…) Mich ekelt dieser Jahrmarkt der Eitelkeiten.

“Thomas Mann gestand Sinneswandel ein”
Bemerkenswert auch der Sinneswandel des zweiten großen deutschen Exilautors der Zeit, Thomas Mann. Der gestand zehn Jahre nach Zweigs Selbstmord ein, dass er inzwischen anders über den Freitod des Autors denke: “Ich gestehe, dass ich damals mit dem Verewigten gehadert habe wegen seiner Tat, in der ich etwas wie eine Desertion von dem uns allen gemeinsamen Emigrantenschicksal und einen Triumph für die Beherrscher Deutschlands sah, deren abscheulicher ‘Geschichtlichkeit’ hier ein besonders prominentes Opfer fallen zu sehen. Seitdem habe ich anders und verstehender über 

Heute ein Museum: Stefan Zweigs Wohnhaus in Petrópolis

Heute begreife er, so Thomas Mann 1952, wie tief verwurzelt Zweig in seiner Heimat war, wie seine ganze Existenz davon abhing. Und so verstehe er nun, “wie wenig es ihm zur Schande gereicht, dass er in der Welt voller Hassgeschrei, feindlicher Absperrung und brutalisierender Angst, die uns heute umgibt, nicht fortleben wollte und konnte.
“Dem Krieg entronnen - und doch nicht frei”
Stefan Zweig “war dem Krieg entronnen und wurde trotzdem von ihm heimgesucht”, sagt Regisseurin Maria Schrader über ihren filmischen Helden in “Vor der Morgenröte”.
Man kann es nicht vergleichen. Und doch: Hat man die Situation von syrischen Flüchtlingen in Deutschland vor Augen, die vor Terror und Bürgerkrieg geflohen sind und die dann in ein Land kommen, in dem wöchentlich Flüchtlingsheime angezündet werden, ahnt man den Schrecken.
Stefan Zweig ist in Brasilien warm aufgenommen worden, seine Existenz war dort nicht bedroht. Bei ihm spielte sich der Horror des Heimatverlustes im Kopf ab.


“Vor der Morgenröte” feierte am 29. Mai Premiere in Leipzig. Am 2. Juni startete der Film in ganz Deutschland.