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Sunday, November 16, 2014

Los Angeles: Die Geschichte der Villa Aurora - Weimar by the Sea

Die Villa Aurora
“Lasst uns zu Feuchtwangers gehen,” war das geflügelte Wort unter deutschen und deutsch-jüdischen Exilanten in Los Angeles während der dreißiger und vierziger Jahre, als in der Heimal die Progrome wüteten, der zweite Weltkrieg tobte. Denn hier, malerisch eingebettet in die sanften Hügel der kalifornischen Pacific Palisades mit weitem Blick über den Ozean, residierte das Ehepaar Marta und Lion Feuchtwanger in seiner Villa Aurora, lud die aus dem Nazideutschland geflohene Intelligentia nicht nur zum geistigen Schlagabtausch ein. Hier war man bei selbst gemachtem italienischen Salat oder frischem Apfelstrudel fern der Heimat - aber doch zu Hause - Mensch, Freund, Konkurrent... Und es flogen schon mal die Türen in manch hitziger Auseinandersetzung.
Das Münchner Ehepaar Marta and Lion Feuchtwanger sprach auch in Los Angeles noch bayerisch miteinander 
Lion Feuchtwanger Collection.

Wenn der langgestreckte Balkon hoch auf den Klippen über dem Meer erzählen könnte, würde er viel Persönliches und Menschliches über die Geistesgrößen jener Zeit ausplaudern. Denn auf dem Balkon war man privat zum Frühstück über dem blauen Meeresteppich, zum Lunch unter Sonnenschirmen oder zum abendlichen Drink unter funkelndem Sternenhimmel. Dieser Balkon würde ein Stück Feuilleton schreiben, in dem Arnold Zweig, Bruno Frank, Heinrich Mann, Franz und Alma Mahler-Werfel, Fritz Lang oder Ludwig Marcuse durchaus zugaben, dass sie unglücklich in dieser schönen neuen Welt waren, vor allem, weil sie ihr Werkzeug, ihre Sprache, verloren hatten. Auch Alfred Döblin, Albert Einstein, Arnold Schönberg, Kurt Weill oder Hanns Eisler gehörten zu den Gästen. Bald gesellten sich zu den Deutschen auch Aldous Huxley  und Charles und Oona Chaplin, wenn Lion Feuchtwanger in der Bibliothek mit den vier zusammengerückten Schreibtischen, die rund 30 000 erlesene Buchbände umfasste, aus seinem neuesten Buch vorlas. Übrigens durften Thomas Mann und Bert Brecht nie zusammen eingeladen werde, weil sie sich überhaupt nicht ausstehen konnten. 
Das Wohnzimmer in der Villa Aurora - Ein zentraler Platz für Veranstaltungen

 So wurde die Villa Aurora zum kleinen “Weimar by the Sea”. Feuchtwanger hatte das Glück, bereits ein internationaler Bestseller-Autor zu sein, und nach Ausbürgerung, Haft, Flucht, Entführung und schließlich durch amerikanische Präsidentenhilfe in den USA ohne finanzielle Schwierigkeiten leben zu können. Seinen literarischen Durchbruch hatte der ehemalige Theaterkritiker mit seinem historischen Roman “Jud Süss”.
Lion Feuchtwanger in seiner Bibliothek: Sie umfasst
30 000 Bände

Die Villa Aurora, zu deren Namen die griechische Göttin der Morgenröte Pate stand, hat ihre eigene Geschichte. 1927 wurde sie von der Los Angeles Times als “ideales südkalifornisches Heim” erbaut und tausende von Besuchern bestaunten das 22-Zimmer-Musterhaus im Stil eines andalusischen Schlosses auf einem Areal von 8 000 Quadratmetern mit Springbrunnen im Innenhof. Hier waren die damals modernsten technischen Geräte eingebaut, wie Spülmaschine, Gasherd, Waschmaschine - dazu großzügige Räume. Dennoch war die Investition für die Zeitung nicht rentabel.  Wenige Jahre später stand die Villa Aurora leer und verfiel langsam. Niemand wollte auf diesen steilen, bewaldeten Hügeln fernab der Stadt Los Angeles, ohne Schulen, Läden oder Ärzte, vor allem zu Zeiten der Rationierung des Benzins leben.
Katzenliebhaber Lion Feuchtwanger hat ohne die Zustimmung seiner Frau nichts veröffentlicht

Als Marta und Lion Feuchtwanger nach ihrer Flucht aus Europa die USA erreichten, kamen sie über New York nach Los Angeles und suchten ein passendes Wohnhaus. Die Landschaft der Palisades erinnerte sie an Italien und die Villa Aurora gefiel ihnen, obwohl alle Fensterscheiben zerbrochen waren, dichte Spinnweben im Keller hingen und der Garten komplett zugewuchert war. Lion hatte gerade seinen Roman „Die Brüder Lautensack“ an die Zeitschrift Colliers verkauft und konnte das Haus für diese 9000 $ erwerben. Für Möbel reichte das Geld vorerst nicht: Marta und Lion schliefen auf Schlafsäcken im Garten. Ein Nachbar, der Lions Bücher bewunderte, schickte einen Arbeiter, der Marta half, den Dreck, die toten Eidechsen und Mäuse wegzuschaufeln.
Lion verdiente durch den Verkauf von Büchern und Filmrechten gut und so konnten die Feuchtwangers nach und nach das Haus mit antiken Möbeln aus Second-Hand-Läden einrichten. Sie kauften einem persischen Prinzen, der weiter oben am Hügel wohnte, einen großen Orientteppich ab, legten Pfade den Hügel hinunter zum Meer an und bauten Brücken über die Schluchten. Bald konnten sich beide ohne finanzielle Sorgen ihren Interessen widmen: Marta kaufte Bäume und Lion stöberte seltene Bücher auf und legte sich eine neue, seine dritte und letzte, Bibliothek an.
Als Lion Feuchtwanger 1958 starb, vermachte seine Witwe Marta Haus und Bibliothel der University of Southern California (USC). Allerdings stellte sich nach ihrem Tod 1987 heraus, dass die Villa für etwa 650 000 Dollar  repariert werden musste. Zu teuer für eine Uni. Unterstützt von zahlreichen Künstlern und Politikern aus Deutschland gelang es jedoch dem “Berliner Kreis der Freunde und Förderer der Villa Aurora”, Feuchtwangers Schloss am Meer zu erwerben. Die notwendigen Mittel kamen vor allem vom Land Berlin aber auch von privater Seite. 1994 waren die umfangreichen Renovierungsarbeiten abgeschlossen. Im selben Jahr begann auch die Arbeit der Freunde der Villa Aurora, die den Geist des Literaten und Künstlerzirkels bewahrt und weiter trägt. Ein großes Haus der Begegnungen mit Lesungen, Konzerten und Ausstellungen, die einen lebhaften Austausch zwischen deutschen und amerikanischen Künstlern aus der Welt des Films, der Literatur, der Malerei und der Musik fördern. 
Die Gartenterrasse

Die Stiftung führt die Feuchtwanger-Idee weiter. Sie richtete ein Stipendiaten-Programm ein, das jeweils drei oder vier Künstlern aus unterschiedlichen Bereichen für drei  Monate die Chance gibt, in dieser einzigartigen Atmosphäre zu wohnen, sich inspirieren zu lassen und Kontakte zu knüpfen. Rund 250 Stipendiaten belebten seit 1995 den Geist des Ortes und wurden ihrerseits inspiriert von der US-amerikanischen Kultur und Landschaft, den Spuren der Exilanten oder anderen Künstlern, die zur gleichen Zeit in der Villa Aurora lebten und arbeiteten. Zahlreiche dieser Stipendiaten sind aus der deutschen und internationalen Kunst- und Literaturszene nicht mehr wegzudenken. 
Die Bibliothek des Bestseller-Autors

Die Chefin des Hauses, Margit Kleinman, hat mit einigen Veränderungen dem alten Haus neuen Glanz gegeben, vor allem war sie bemüht den Garten wieder ganz im Sinne der begabten Hobbygärtnerin Marta Feuchtwanger zu gestalten. Am 20. November will Margit Kleinman vier neue Stipendiadten der Villa vorstellen: Diesmal ist es ein Mädchen-Quartett, dass sich an diesem Ort deutscher Kulturgeschichte inspirieren lassen wird und sorglos arbeiten kann. 


Ingrid Steinberg