Christopher Rothko hat nur wenige Erinnerungen an seinen Vater - er nahm sich 1970 das Leben, sein Sohn war damals sechs Jahre alt. Aber er hat noch vor Augen, wie der Künstler eine zehn Meter lange Papierbahn vor ihm ausrollte und ihn dazu aufforderte, die schier unendliche Fläche zu bemalen. Mit dieser Aufgabe ließ Mark Rothko den Jungen allein, aber auch umgekehrt hat Christopher seinen Vater nie bei der Arbeit gesehen: "Das Malen war eine absolut einsiedlerische Beschäftigung für ihn, selbst seine Assistenten durften nur die Materialien zubereiten."
Das Bild 'White Center (Yellow, Pink and Lavender on Rose)' des US-Künstlers Mark Rothko hat mit einem Verkaufspreis von fast 73 Millionen Dollar bei einer Auktion 2007 in New York alle Rekorde gebrochen
Vor rund zehn Jahren gab Christopher Rothko seine Karriere als klinischer Psychologe auf, um sich ganz dem Nachlaß des Vaters zu widmen - seine Schriften und natürlich seine so emotional aufgeladenen Bilder lieferten dem Experten reichhaltiges Material für einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt und Psyche des Malers, dessen zunehmend düstere Palette und Suizid auch von je her die Amateure faszienierte.
Mit seiner Sammlung von 18 Essays, erschienen bei der Yale University Press unter dem Titel "Mark Rothko: From the Inside Out" analysiert Christopher Rothko die menschliche Intensität und Komplexität hinter Werken, die ihr Schöpfer selbst als "Dramen" bezeichnete, und zwar zwischen ihm und dem Betrachter. "Tragödie, Ekstase, Untergang" - das war der Stoff selbst seiner sonnigsten Malerei, wie er dem Kritker Selden Rodman 1956 erklärte.
"Ich wurde Maler, weil ich die Malerei zur gleichen Gefühlsschärfe wie die der Musik und der Poesie erheben wollte", zitiert Christopher Rothko seinen Vater, dessen Liebe zu Mozart eine kostbare Hinterlassenschaft war: "Von meinen frühesten Tagen an füllte er meine Welt mit Musik." Von Mozart, "dem Meister der kurzen Phrase", übernahm Mark Rothko die "Sonatenstruktur rechtwinkliger Formen", die Transparenz und Klarheit seiner Sprache. Und wie der Komponist war auch der Maler in der Welt emotionaler Widersprüche zu Hause: in der von überkommener Trauer versüßten Freude, im Schmerz über den Verlust noch nachklingendes Glück.
The Subway Series.
Für den Psychologen ist es von entscheidender Bedeutung, dass eine Rothko Leinwand als ganzheitliche Gestalt erlebt wird - der Künstler selbst träumte von Kapellen am Straßenrand, in denen sich ruhesuchende Autofahrer der meditativen Aura eines seiner Gemälde überlassen konnten. "Rothkos Bilder sind Portale zu unserem inneren Selbst", schreibt Christopher Rothko. Zugleich sieht er sie - trotz Kunstgeschichte und Marktwert - als ästhetisch fragil, als dicht am Nichts: sie verlangen jede Menge Hingabe.
Claudia Steinberg
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