Wie einen Ehrentitel trägt die New Yorker Buchhandlung “Three Lives & Co.” das selbst vergebene Attribut “anachronistisch” - in dem 60 qm großen Eckladen an der Kreuzung Waverly und 10th Street, zwischen deckenhohen Regalen und überladenen Büchertischen nistet noch das Flair der Boheme, das der Wall Street Wohlstand dem Village ansonsten ausgetrieben hat. Drei “schwere Stürme”, sagt Eigentümer Toby Cox, hat dieses vor einem knappen halben Jahrhundert von drei Frauen ins Leben gerufene Relikt mit der Zinndecke und den abgetretenen Dielen überstanden: “Die Ladenketten, den E-Reader, und Amazon.” Den Hurrikan der Großen Rezession erwähnt er nicht mal. Doch den unabhängigen Bücherstuben, die 2008 in der Wirtschaftskrise nicht untergingen, geht es heute wider Erwarten besser als zuvor. Das vermeintlich unzeitgmäße Vertrauen in bedrucktes Papier und Patina erweist sich plötzlich als aktuelles Antidot zum ephemeren elektronischen Wort, das “kuratierte Angebot” triumphiert über das Surfen in der unberechenbaren Datenflut, Lokalismus über Globalismus.
“Bildschirmerschöpfung” diagnostiziert Stephen Sparks, Einkäufer des Green Apple Bookstores - einer literarischen Institution in San Francisco seit 1976 - nicht nur bei seiner Kundschaft aus der lokalen High-Tech-Industrie: “Allein 2014 zählte die American Book Association 59 neue Buchhandlungen in den USA, E-Books stagnieren dagegen schon seit einer Weile.” Im vergangenen August eröffnete Green Apple ganz in der Nähe des Stammhauses eine Filiale, und seither entfliehen Google und Startup-Nerds scharenweise den endlosen, abstrakten, von effizienten Energiedrinks wie Schmilk getragenen Tagen am Computer in die stille Gemeinde der Bücherfreunde am Golden Gate Park. Im Unterschied zum engen Green Apple Original mit seinem verheißungsvollen Chaos ist der neue Shop groß, wohl geordnet, und auf Veranstaltungen ausgerichtet. Auf die Ankündigung eines Auftritts von John Waters anläßlich seiner Reisememoiren “Carsick” folgten im Mai 1500 Reservierungen binnen weniger Stunden.
Sarah McNally bezeichnet ihre Buchhandlung im Boutiquenviertel Nolita trotz des gut besuchten Cafés als “ganz und gar buchorientiert.” Nicht zuletzt dank allabendlicher Lesungen machte McNally Jackson in diesem Jahr 13.9 % mehr Umsatz als 2014, doch ab Oktober will die gelangweilte Eigentümerin ein “extravagantes” Konzept ausprobieren: in Partnerschaft mit National Sawdust, einem neuen Veranstaltungraum in Brooklyn, sollen Lifesendungen mit Autoren, Künstlern und Musikern ein sechsstelliges Publikum statt des harten Kerns von “5000 Bibliophilen erreichen.” Ob sie damit auch die teure Adresse aufgibt, will sie nicht sagen.
Doch Green Apple verdankt seine neue Filiale schließlich nur einer preisgünstigen Übereinkunft mit dem zwar mythischen, aber nahezu bankrotten DVD Verleih “Le Video”: der Eigentümer des Gebäudes in bester Lage siedelte sein Unternehmen in die erste Etage um und vermietete der Buchhandlung das Parterre zu günstigen Konditionen. Der St. Marks Bookstore mußte letztes Jahr von seinem langjährigen Standort auf der Hauptstraße von Manhattans East Village in ein winziges Ladenlokal umziehen, als die Monatsmiete auf $ 20,000 anstieg. Rafay Khalid, ein Börsenberater pakistanischer Herkunft, mobilisierte 200,000 Dollar zur Rettung in höchster Not. Der Immobilienmarkt glüht, und ein weiteres Unwetter blüht dem zähen, unersetzlichen, unabhängigen Buchhandel.
Claudia Steinberg
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