“Wenn Sie sich mal nicht so recht trauen, Ihre Meinung zu sagen, dann setzen Sie eine Maske auf: Sie werden gar nicht glauben, was da so aus ihrem Mund kommt”, rät Frieda Kahlo, Guerilla Girl der ersten Stunde, den Zaghaften. Seit nunmehr dreißig Jahren verstecken sich die Mitglieder der feministischen Gruppe hinter den Pseudonymen historischer Künstlerkolleginnen wie Kahlo und Kollwitz, Höch und Martin - und natürlich unter Gorillaköpfen. Die Idee zur grotesken Kostümierung entstammte einem Schreibfehler, der Untergrundkämpfer mit Menschenaffen verwechselte, die Anonymität gehört dagegen zum Grundkonzept: über die Jahrhunderte hinweg lastete die Unbekanntheit als Fluch über Künstlerinnen, doch die alten, jungen, afroamerikanischen, weißen, lesbishen und heterosexuellen Frauen hinter den Masken wählten sie als Schutz vor den potentiellen Vergeltungsmaßnahmen einer inzestuösen Kunstwelt. Denn die Girls - ihr Titel geht der Girrrl Power Bewegung um zwei Jahrzehnte voraus - kamen mit der Intention, zu schockieren, zu informieren, und zu blamieren: ihre Künstlerfreunde, die sich nicht für sie einsetzten, die Galeristen, die ihre Arbeiten ignorierten, die Kritiker, die sie nicht ernst nahmen, die Museen, die Werke alter Meisterinnen wie Artemisa Gentileschi und Judith Leyster in ihren Kellern eingemottet hatten. Mit einem brutalen Gegenschlag war zu rechnen.
Eine 1984 von Kynaston McShine im MoMA organisierte internationale Gruppenshow mit rund 200 Männern und nur 17 Frauen hatte den urspründlichen Stein des Anstoßes geliefert und die Freundinnen zur Teilnahme an einer Demonstration vor dem Museumseingang angestachelt. Niemand beachtete die zum Boykott der Institution aufrufenden Frauen - in einer Ära, als bahnbrechende Ausstellungen wie “Zeitgeist” in Berlin, “The Expressionist Image” in New York und “New Spirit in Painting in Londons” insgesamt unter 102 männlichen Künstern drei weibliche Kolleginnen präsentierten, zählte Sexismus offenbar zur Tagesordnung. So begannen die Partisaninnen, bewaffnet mit Statisken und Humor, in einer Aprilnacht 1985 mit ihrer Untergrundarbeit: am nächsten Morgen stellten Poster den samstäglichen Kunstflaneuren in ganz Soho die Frage, was 42 so unterschiedliche Künstler wie Arman, Eric Fischl und Bruce Nauman gemein hätten: sie stellen in Gallerien aus, die weniger als 10 Prozent - oder gar keine - Frauen zeigen, lautete die Antwort.
Mit dieser ersten Kampagne etablierten sich die Guerilla Girls auf Anhieb als selbsternanntes “Gewissen der Kunstwelt” - die New York Times Kritikerin Roberta Smith entschuldigte sich kleinlaut für ihre männerlastige Berichterstattung, genierte Museumskuratoren gaben zu, sich ihrer unfairen Ausstellungspraxis gar nicht bewußt gewesen zu sein. Derlei Bekenntnisse beschwichtigten die maskierten “Mädchen” keineswegs, sondern stifteten sie zur immer tieferen Analysen der Diskrepanz zwischen der Geschlechterrepräsentanz in den Kulturinstitutionen an. “In den ersten zwei, drei Jahren begriffen wir, dass die Kunstwelt weit hinter dem Rest der Welt hinterher hing - hinter medizinischen Fakultäten, hinter dem Rechtswesen und der Geschäftswelt, wo man sich um die Einbeziehung von mehr Frauen bemühte,” erklährt Kahlo. Die vermeintliche Avantgarde entpuppte sich als trödelnde Nachhut.
Selbst progressive Institutionen wie das Bauhaus trugen Mitschuld an der Misere: Walter Gropius hatte keine Frauen in die Malereiklassen zugelassen und kreierte stattdessen einen Textilworshop für die vielen hoffnungsfrohen Bewerberinnen, die seinem Ruf einer offenen Schule auf den Leim gegangen waren - und sie revolutionierten das marginale Feld von Grund auf. Die von der feministischen Kunsthistorikerin Linda Nochlin in einem berühmten Essay von 1971 gestellte Frage, warum es keine großen Künstlerinnen gegeben habe, formulierten die Guerilla Girls entsprechend um: “Was ist mit all den großen Künstlerinnen passiert?” Sie webten fantastische Teppiche und Tapisserien.
Lange bevor das Data Mining detaillierte Informationen über Vorlieben und Gewohnheiten eines jeden Erdbewohners akkumulierte, erstellten die Guerilla Girls akkurate Profile instutioneller Geschlechterpräferenzen - und zwar ohne Computer. Ihre Methode schlichter Quantifizierung resultierte 1989 in einem ihrer berühmtesten Poster: “Muß eine Frau nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?” will Ingres’ weiblicher, nur mit einer Gorillamaske bekleidete Odaliske wissen. Angesichts der Erhebung - weniger als fünf Prozent der Künstler in Amerikas wichtistem Museum sind Frauen, aber 85% der Akte sind Frauen - eine berechtigte Frage. Auch heute noch: die aktuelle Zählung förderte nur einen minimalen Unterschied zutage, inklusive der zeitgenössischen Abteilung. Überhaupt ist die Arbeit der Guerilla Girls keineswegs getan: nach der letzten Erhebung vom April 2015 sind Frauen in der gegenwärtigen Selektion aus der permanten Sammlung des MoMA - ihrer ursprünglichen Bete Noire - nur zu sieben Prozent vertreten. Um die Jahrtausendwende machte die Gruppe, die zwischenzeitlich 30 Mitglieder zählte und einige Ableger zeugte, Vorstöße in die Filmindustrie: ein “anatomisch korrekter” Oscar mit Hängebauch und dem Kopf des reaktionären US-Senators Trent Lott prangte auf einem Hollywood-Billboard, von skandalösen Zahlen begleitet: keine Spielfilmregisseurin oder Kamerafrau wurde je mit der Trophäe bedacht, und nur drei Prozent aller farbigen Schauspieler haben jemals den Golden Boy gewonnen. Und das in einer Industrie, die sich als besonders liberal versteht - ein fruchtbares Feld für die subversiven Datenanalytikerinnen. Die Eskalation des Kunstmarkts zum Investorenparadies verlangt dieser Tage jedoch die ungeteilte Aufmerksamkeit der versierten Kämpferinnen: warum, erkundigen sie sich empört, sollten ein paar unternehmerische Kunstsammler das Privileg besitzen, die - unsere! - Kunstgeschichte zu definieren? Entscheiden, wer vorkommt? Schon 1987 spielte eine Spionin im Whitney Frida, Hannah, Atemisa & Co. Dokumente über die Korrumpierbarkeit der Treuhänder zu, aus denen eine wichtige Ausstellung über die wahren Autoren der Kunstgeschichte wurde.
Inzwischen betrachtet das Whitney Museum die ausdauernden She-Apes als Mitlgieder der Kunstweltaristokratie und kaufte kürzlich das gesamte GG Portfolio von 88 Plakaten sowie Ephemera von 1985 bis in die jüngste Vergangenheit. Das gilt auch für Walker Art Museum, das den Guerilla Girls im Januar 2016 eine große Retrospektive widmet, Dem Galeriebetrieb haben sie sich jedoch immer verweigert, stattdessen offerieren die Rebellinnen ihre Poster online für $ 20. Ironischerweise wird eine von ihnen in ihrem Doppelleben als Künstlerin von Mary Boone vertreten - auf dem Zeugnis, das die Girls 1986 17 Galeristen ausstellten, wurde die Art World Diva mit dem Vermerk “Boy Crazy” charakterisiert: sie hatte keine einzige Künstlerin im Programm. Vor ein paar Monaten griff das feministische Kollektiv Pussy Galore (benannt nach der blonden Protagonistin im James Bond Film “Goldfinger”) die Statistik ihrer Vorgängerinnen auf: der Frauenanteil bei Boone ist in den letzten 29 Jahren auf 13 Prozent gestiegen, doch fehlt der neuen, nüchternen Pussy-Liste der typische GG-Charme: “Versager”, “kein Fortschritt”, “Bleib am Ball” hatten sie wie strenge Lehrerinnen hinter die Ziffern geschrieben. Nachsicht ist auch heute nicht von ihnen zu erwarten, denn “Jahrtausende des Patriarchats lassen sich nicht von 50 oder 150 Jahren feministischen Drucks wegwischen”, sagt Kahlo. “Aber früher mußten wir die Leute noch davon überzeugen, dass die Situation falsch war. Heute brauchen wir sie nur daran zu erinnern.” Zum Beispiel mit einem freundlichen Schreiben an den Teuersten Sammler: “Wir sind darauf aufmerksam geworden, dass Ihre Sammlung - wie die meisten - nicht genug Kunst von Frauen enthält. Wir wissen, dass Ihnen das furchtbar unangenehm ist und Sie die Sache umgehend wieder ins Lot bringen werden.”
Claudia Steinberg
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