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Monday, January 25, 2016

Idealisten-Projekt Detroit - Wie die Kunst eine bankrotte Industriestadt retten soll

“Die Hälfte aller Gebäude in Downtown Detroit ist verschwunden, aber es gibt hier immer noch Dichte”, erklärt der Unternehmer und Kunstmäzen Gary Wasserman vor der Kulisse jenes eleganten Hochhauses, das den Anfang der endlosen Woodward Avenue markiert. Wie rund 80 andere Wolkenkratzer wurde auch dieser weiße Turm, der dem Architekten Yomura Yamasaki als Vorlage für das World Trade Center diente, kürzlich von dem Versicherungsgiganten Quicken Loans für eine Million Dollar gekauft - und Detroit damit einen Schritt vom Abgrund zurück geholt. Verglichen mit Chicago oder gar Manhattan wirkt die verbliebene vertikale Architektur, zu der spektakuläre Bauten aus der Hochzeit der Motor City um den zweiten Weltkrieg herum gehören, eher spärlich. Doch Wasserman wird nicht müde, über seine zerrissene Heimatstadt als ein “urbanes Laboratorium für eine noch zu entwickelnde Stadtform des 21. Jahrhunderts” zu sprechen. Als er vor fünf Jahren hörte, dass junge Künstler verwaiste Nachbarschaften besiedelten, zog er aus seinem Zufluchtsort in Florida zurück nach Detroit, “eine gescheiterte postindustrielle Stadt mit reichhaltigen Ressourcen.” Voller Zuversicht eröffnete er inmitten der Misere eine Galerie. Heute hält er den damaligen Optimismus für nur zu fünf Prozent berechtigt - und kann ihn doch nicht begraben. 

Der beligische Künstler Koen Vanmechelen, der sein Cosmopolitan Chicken Project in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Detroit/Wasserman Project nach Detroit bringen will, vor einem Wandgemälde auf dem Großmarkt.

So vermochten die kreativen Pioniere das Schicksal der einstigen Industrie-und Kulturmetropole kaum eigenhändig zu wenden, aber sie stelltem dem “Detroit-Lamento” erstmals eine Hoffnungsbotschaft gegenüber: statt “Ruinen-Porno”, wie die Einheimischen die voyeuristische Bilderflut von verwitterten Villen, verlassenen Bahnhöfen und verkommenen Prachtkinos nennen, propagierten die furchtlosen, aus ihren überteuerten Ursprungsorten vertriebenen Immobilienopportunisten eine Detroit-Renaissance - der Motor sollte  diesmal die Kunst, das Handwerk und eine kleinformatige Biolandwirtschaft auf Motowns immensem Brachland sein.

Die Künstlerin Nancy Mitchnick, die nach vielen Jahren als Harvard-Professorin nach Detroit zurückkehrte und nun die verfallenen Häuser der Stadt zu ihrem malerischen Sujet erklärt hat, in ihrem Atelier.




Tatsächlich ist die kulturelle Infrastruktur der seit einem halben Jahrhundert dem Untergang entegensinkenden Stadt dank einer Gruppe passionierter Finanziers weiterhin funktional: im Opernhaus kann man nach wie vor eine Aida-Aufführung mitsamt Elefanten erleben, und das Detroit Art Institute gilt als eines der bedeutendsten Museen der USA. Kaum eine Kunstakademie ist so luxuriös ausgestattet wie das Cranbrook College in Birmingham jenseits der Eight Mile Dekarmationslinie, die die zu 82 Prozent afro-amerikanische City von ihren wohlhabenden Vororten trennt. Der von Eliel Saarinen und seinem Sohn Eero angelegte Kampus mit dazugehörigem Museum bringt mehr und mehr Künstler hervor, die nicht mehr nach New York oder Los Angeles, sondern in die verwilderte Stadt nebenan ziehen. Die rund 80,000 abbruchreifen Wohnhäuser und die 20,000 unrettbar verrotteten Industriebauten von Detroit sind für etliche von ihnen eine Inspiration: Cranbrook-Absolvent Charlie O’Geen zum Beispiel reduzierte sein 72 Quadratmeter großes Reihenhaus in der Arbeitersiedlung Hamtramck nahe der längst stillgelegten Dodge Fabrik auf sein Skelett und katalogisierte jeden Balken und jede Diele mit der Akribie eines Archäologen. In die entkernte Hülle baute er aus dem entfernten Malerial eine minimalistische, funktionalistische Kapsel. Ein verwüstetes Haus gegenüber wird er einer ebenso analytischen Neukonstruktion aus seinem ursprünglichen Innenleben unterziehen. 

Der New Yorker Künstler Markus Linnenbrink (ursprünglich aus Dortmund) und der Architekt und Designer Nick Gelpi in ihrem Pavillon - sie haben den beweglichen Veranstaltungsraum, der in der Detroiter Kunsthalle steht, gemeinsam entwickelt.

Im selben Viertel rehabilitieren der Künstler Mitch Cope und die Architektin Gina Reichert seit 2009 im Rahmen ihres Powerhouse Projects etliche bescheidene Häuser zu Kunst- und Performanceräumen, darunter auch ein Sound House - wenn es möglich ist, einen Bungalow für $ 500 auf einer Auktion zu ersteigern, kann man es sich wohl auch leisten, ihn in einen reinen Resonanzkörper zu verwandeln. Die Interventionen der Non-Profitorganisation haben den vor kurzem noch so desolaten Straßen eine Vitalität injiziert, die andere Idealisten anlockt, wie die international bekannte Künstlerin Swoon. Die meisten Fassaden an der Moran Street sind beispielsweise mit Trophäen aus den Trümmern der von einst zwei Millionen auf weniger als 700,000 Einwohner dezimierten Stadt dekoriert - man denkt an die Behausungen eines entlegenen Stammes, wild und trotzig. Nicht unverwandt dem legendären Heidelberg Project des Künstlers Tyree Gayton, dessen mit Spielzeug, Schallplatten und anderen Fundstücken bespickte Häuser jährlich rund 300,000 Touristen anlocken. Sein seelenverwandter Kollege Olayami Dabl hat ebenfall ein verfallenes Gemäuer zu einem Outsider Art Palast transformiert, dem die Stadt Detroit gerade Legitmität bescheinigte.
Der Künstler Olayami Dabl, der eine Detroiter Ruine in jahrelanger Arbeit zum Kunstwerk verwandelt hat - inzwischen ist auch die Stadtverwaltung, die ihn zunächst bekämpfte, auf seiner Seite.

Bester Beweis dafür, dass nun auch von offizieller Seite die Bedeutung der Kunst für die brankrotte Stadt erkannt wurde, ist die Verwandlung des Eastern Markets in ein Atelierviertel. Der 1891 gegründete Großhandelsmarkt ist der älteste in den USA und erstreckt sich über 20 Hektar, seine Stände und Hallen sind schon lange ein beliebter Hintergrund für Hochzeiten und Bar Mitzvahs, den Ansprüchen einer modernen Lebensmittellagerung entsprechen sie jedoch nicht mehr. Die Kresge Foundation, eine jener mächtigen Stiftungen, ohne deren Unterstützung das Kulturleben längst abgestorben wäre, hat bereits 40 M Dollar für das 


Der Industrielle und Philanthrop Gary Wasserman vor seiner Kunsthalle, die das Bindeglied zur Detroiter Museumsmeile und dem Großmarkt sein soll. 


Detroiter “SoHo” bereit gestellt. Der Markt wird in ein zeitgemäßes Quartier in der Nähe umziehen - an Platz mangelt es in der 138 Quadratmeilen großen Stadt schließlich nicht. Gary Wasserman hat seine im September eröffnete Kunsthalle in der ehemaligen Reparaturwerkstadt der Feuerwehr bereits mit Blick auf die Zukunft positioniert: der elegant renovierte Ziegelsteinbau sitzt auf der Achse zwischen dem Eastern Market und Midtown mit seinem Detroit Institute of Art (DIA), dem Museum of Contemporary Art Detroit (MOCAD) und George N’namdis Zentrum für zeitgenössische Kunst, einer der wichtigsten, der Abstraktion verschriebenen Galerien am Ort. Wasserman Projects soll als Bindeglied zwischen den etablierten Institutionen und dem neuen Künstler- und Produzentenviertel fungieren.




Während in New York und anderswo der Mechanismus der Gentrifizierung Künstler aus den von ihnen urbar gemachten Armenvierteln mitsamt den ursprünglichen Anwohnern vertreibt, ist in Detroit die Kolononisierung von Niemandsland durch kreative Individuen eine der wenigen erfolgsversprechenden Strategien. “Es ist alles noch sehr fragil”, sagt Wasserman und erwähnt die Arbeitslosenrate von 50 Prozent. Doch der Fall des Texaners Christopher Schanck, der an Cranbrook 3-D Design studierte, macht Hoffnung: vor fünf Jahren begann er in seinem winzigen Haus in Hamtramck mit der Herstellung opulenter, mit Gold- und Silberfolie bezogener Styropormöbel, bei deren Herstellung seine Nachbarn aus Bangladesch, Pakistan und dem Yemen halfen. Der New Yorker Designer Peter Marino entdeckte Schanck, heute stehen seine Stücke bei Dior und Vuitton. In den nächsten Monaten wird er seine Produktion in eine riesige leere Artilleriefabrik verlegen und damit weitere Arbeitsplätze schaffen. Schancks Galerist Paul Johnson hat gerade eine Kathedrale gekauft<b399dc4b-a09f-416a-90b0-9a1bdf2c4d7e.jpg>, die er zu Künstlerstudios renovieren will. 

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