Der eine hieß Jacob, der andere Wilhelm, und weil die beiden unzertrennlich waren, nannte man sie einfach “die Gebrüder Grimm”.
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Hänsel und Gretel, gut bewacht von der bösen Hexe |
Die Brüder unternahmen alles gemeinsam. Sie studierten Jura, weil das der verstorbene Vater so gewollt hatte. Sie saßen nebeneinander im Hörsaal, sie lasen dieselben Bücher. Die beiden konnten einfach nicht ohne einander. Nach einer einzigen Trennung aus Studiengründen beschlossen die Brüder, sich nie mehr zu trennen; selbst nach Wilhelms Heirat wohnten sie weiter unter einem Dach. Dabei waren sie grundverschieden. Jacob war pedantisch und sparsam, Wilhelm dagegen gesellig, ungestüm, liebte die Unterhaltung und die Musik. Doch beide waren Realisten in der Zeit der Blauen Blume, Sprachforscher und sie gelten als Gründungsväter der Germanistik. Sie sahen in der fernen Vergangenheit die Wurzeln für die zeitgenössischen Zustände. So untersuchten sie die geschichtliche Entwicklung deutschsprachiger Literatur (Sagen, Urkunden ebenso wie Dichtung) und legten dabei die Grundlagen für eine wissenschaftliche Behandlung dieses Arbeitsgebietes.
Geboren und aufgewachsen in Hanau, besuchten sie in Kassel das Friedrichsgymnasium und später die Philipps Universsität in Marburg. Hier hatten sie das Glück, dass einer ihrer Lehrer, Friedrich Carl von Savigny, den wissbegierigen Studenten erlaubte, in seiner Privatbibliothek zu stöbern. Das taten sie dann auch reichlich. Und sie beschränkten sich dabei nicht auf deutschsprachige Urkunden. Englische, schottische und irische Quellen waren bereits in Mode; sie dehnten ihren Expansionsbereich auf Skandinavien, Finnland, die Niederlande, Spanien und Serbien aus.![]() |
Eine der ersten Ausgaben der Geschichten der Brüder Grimm |
Nach dem Studium 1806 begannen sie Märchen und Sagen zu sammeln, denn die Grimmschen Märchen entstammen nicht ihrer eigenen Phantasie, sondern wurden nach alten, meist mündlich überlieferten Geschichten, von ihnen gesammelt und überwiegend stark überarbeitet. Die beste Quelle war dabei die aus dem Elsass stammende Dorothea Viehmann, sie kannte die meisten Geschichten, die man sich seit Generationen erzählte. Wilhelm Grimm war es auch, der mit der kritischen Untersuchung zu Quellen und Entwicklung der Volksmärchen die Märchenkunde als Wissenschaft begründet hat.
Und noch etwas: Die unzertrennlichen Gelehrten befassten sich ebenso mit der mythologischen Deutung von Götterbildern, schrieben über den altdeutschen Meistergesang, über altdänische Heldenlieder, über vorchristliche Glaubensvorstellungen, Balladen und Märchen und vor allem in zwei Bänden über deutsche Heldensagen, doch das nicht mit so großem Erfolg. Zu Weihnachten 1812 erschien dann der erste Band der Kinder- und Hausmärchen und 1815 der zweite. Zehn Jahre später gaben sie dann eine “Kleine Ausgabe” heraus, mit großer Resonanz. Sie warben ihren Bruder Ludwig Emil als Illustrator an. Er trug mit seinen Bildern eine Menge zum Erfolg der Märchen bei. Bereits zu Lebzeiten der Brüder erschienen sieben Auflagen der großen deutschen Ausgabe der Märchen und zehn Auflagen der kleinen Ausgabe.
Jacob und Wilhelm Grimm waren gerade mal um die 30, als sie sich bereits durch ihre zahlreichen Veröffentlichungen eine anerkannte Stellung erarbeitet hatten. Sie lebten gemeinsam in Kassel, Jacob war Bibliothekar, Wilhelm Sekretär und trieben ihre eigenen Forschungen voran und wurden dafür von der Universität mit dem Ehrendoktor ausgezeichnet. Natürlich hatten sie Föderer und Gönner, darunter die Kurfürstin Wilhelmine Karoline von Hessen. Als sie 1820 starb, mussten die Brüder das elegante Haus an der Wilhelmshöhe räumen und in eine schlechtere Wohnung ziehen.
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Die Brüder Grimm |
Schwester Lotte, die bis dahin den Haushalt geleitet hatte, heiratete und die Brüder führten danach jahrelang einen richtigen Junggesellenhaushalt. Erst als Wilhelm im Mai 1825 Dorothea Wild geheiratet hatte, festigten sich die Lebensumstände der Brüder wieder, die weiterhin, nun zu dritt, zusammenlebten. Wilhelm und „Dortchen“bekamen bald Kinder. Aber dennoch verreisten die Brüder ziemlich oft.
Es war eine höchst kreative Zeit, Jacob arbeitete an dem bahnbrechenden Werk über die Deutsche Grammatik. Nein, nicht über das trockene Thema der Fälle oder Deklinationen. Er wollte das historische Leben, die Entwicklung und den Zusammenhang sämtllcher germanischer Sprachen ergründen und legte damit den Grundstein für die moderne Ethymologie. Inzwischen nach Göttingen gezogen, arbeiteten beide intensiv am Deutschen Wörterbuch.
Auch politisch waren die Gebrüder Grimm aktiv. Sie arbeiteten mit darauf hin, die damaligen deutschen Kleinstaaten zu vereinen. Jacob Grimm war sogar Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung 1848. Beide halfen mit, die Menschenrechte in Deutschland zu formulieren. Für eine Streitschrift gegen einen Verfassungsbruch des Königs von Hannover, König Ernst August I., wurden sie, und mit ihnen fünf andere Professoren, entlassen und Jacob des Landes verwiesen. Aus Spendengeldern bekamen die entlassenen Professoren weiterhin ihr Gehalt. . In dieser Zeit entstand ihr gemeinsames Wörterbuch, “Der Grimm”, eine Bedeutungsgeschichte des jeweiligen Wortes.
Dorothea Viehmann erzählte den
Gebrüdern Grimm Grimm die meisten Märchen
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Drei Jahre Exil in Kassel, dann holte sie der neue preußische König Friedrich Wilhelm IV nach Berlin. Hier lebten sie 20 Jahre, angesehen und ohne finanzielle Sorgen, konnten weiter ihre Sprachforschungen betreiben. Auch die Geschichte der deutschen Sprache entstand in dieser Zeit – ein erster Versuch, Sprachgeschichte mit Sozialgeschichte zu verknüpfen.
Als Wilhelm Grimm 1859 und sein Bruder Jacob vier Jahre später starb, waren zahlreiche Institutionen in ganz Europa stolz, sie zu ihren Ehren-Mitgliedern zählen zu können. Und auch im Tod sind sie nicht getrennt: Sie liegen auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg. Und wenn man zurückdenkt, war nicht immer alles märchenhaft bei den Gebrüdern Grimm, die der Welt die berühmteste Märchensammlung schenkten.
Ingrid Steinberg
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