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Friday, April 10, 2015

Willkommen auf dem Mars - Eine junge Physikerin trainiert das Leben auf dem Roten Planeten

Die Kassiererin mit der Vintage Hochfrisur in der größten der drei Tankstellen, die mit dem Whispering Sands Motel und einem kargen Supermarkt das Zentrum des 215-Seelenorts Hanksville am Dirty Devil River in Utah bilden, ist es gewohnt, verirrten Autofahrern den Weg zur Mars Desert Research Station zu beschreiben. Trotzdem fühlt man sich auf dem sieben Kilometer langen, versandeten  Wüstenfad zwischen Tafelbergen, die an Festungen untergegangener Reiche erinnern, recht verloren, aber schließlich taucht die winzige Forschungsstation im Windschatten eines gigantischen Felsens auf. Zwei Astronauten in schwarzen Raumanzügen und Kugelhelmen aus Plexiglas begleiten den Besucher in die Druckausgleichskabine, in der man in den folgenden vier Minuten mit Hilfe der eigenen Fantasie und eines strikt eingehaltenen Protokolls die Erde hinter sich lassen soll. 

Spaß in der Schwerelosigkeit
“Willkommen auf dem Mars”, begrüßt dann Commander Bakken den Gast mit militärischer Forschheit und läd in den Forschungssilo ein, wo sich Hirse- und Hopfenpflänzchen in synthetischer Marserde an Solarenegie wärmen. Glücklicherweise, denn die von einem dieselbetriebenen Generator erzeugte Elektrizität ist seit ein paar Stunden ausgefallen. Für Kellie Gerardi, die Öffentlichkeitsliaison des siebenköpfigen Teams internationaler Wissenschaftler, das hier für zwei Wochen das Leben auf dem Mars einübt, verleiht die reale Krise jedoch der außerirdischen Simulation einen erfreulichen Realitätsschub. “Wir haben kein Internet, die Wasserpumpe funktioniert nicht, der Kühlschrank wird warm”, erklärt sie mit verhaltener Aufregung. 

Kellie ist auch für das botanische Projekt verantwortlich, das später in die Produktion des ersten Marsbiers münden soll. Zu ihrem 26. Geburtstag, den die Physikerin und Kommunikationswissenschaftlerin auf der Marsstation verbringt, wird es noch nicht fertig sein. Die Ingredenzien für den Kuchen stehen auch noch nicht fest, doch soll er in jedem Falle mit den Zuckerziffern 13.8 gekrönt sein - Kellies Alter in Marsjahren, die aus 687 Tagen bestehen. Sie steigt eine steile Holzstiege in den ersten Stock, wo sich hinter einer Reihe von sieben Türen die engen, fensterlosen Schlafkojen verbergen. Die Speisekammer ist mit gefriergetrocknetem Huhn und Fleisch, pulverisierter Butter, federleichten Tüten mit dehydrierten Himbeeren sowie gedörrten Taranteln und Erdwürmern in hübschen Dosen gefüllt. “Insekten liefern die reinste Form tierischen Proteins in der gesamten Galaxie”, meint Kellie, die sich Käferfarmen auf dem auf Mars vorstellt. 

Überhaupt hat der rote Planet ihre Imagination schon als Kind angestachelt. Die Tochter eines Wall Street Finanziers und einer Immobilienmaklerin wuchs in Jupiter an der “Space Coast” von Florida auf, wo sie zahllose Raketen in den Himmel entschwinden sah. “Es war eine beinah religiöse Erfahrung, wenn die Erde unter den Füßen zitterte und die Schallmauer über dem Kopf brach”, erinnert sie sich. “All die großen Fragen stellen sich in diesem Moment: warum sind wir hier, sind wir allein, was ist das Universum? Die Antworten finden wir nur in der Erforschung des Weltalls.” Mit dem Astrophysiker Steven Hawking teilt Kellie Gerardi die Überzeugung, dass die Zukunft der Menschheit von der Kolonisierung anderer Planeten abhängt: “Er sagte mir, dass wir ohne Weltraumforschung wie Schiffbrüchige auf einer verlassenen Insel enden werden”, zitiert sie ihren Helden. Die drohende Zerstörung unseres eigenen Planeten motivierte die Idealistin, sich 2012 mit über 200,000 Anwärtern aus aller Welt bei der non-profit Firma Mars One um einen Platz auf der siebenmonatigen Jungfernreise zu dem erdverwandtesten Himmelskörper unseres Sonnensystems zu bewerben. 

Sie schaffte es in die enge Auswahl von 660 Kandidaten und hat sich seither unbeirrbar auf den blassroten Punkt am Firmament konzentriert. “Wir haben die technologischen Mittel zur bemannten Marsexploration, es ist nur eine Geldfrage, wann es dazu kommt”, meint Kellie Gerardi, die ebenso fest von Notwendingkeit, den Weltraum zu demokratisieren, überzeugt ist wie von der Anpassungfähigkeit der Menschen an neue Bedingungen. Dass bisher nur rund 600 Vertreter unserer Spezies die Erde verlassen haben, empfindet sie als schmerzlichen Verrat an unserem eigenen Potenzial.

Bevor die ersten Menschen in rund zehn Jahren die 225 Millionen Kilometer lange Reise antreten können, müssen Roboter eine elementare Infrastruktur in der Nähe des Äquators, wo im Sommer bis zu 20 Grad Celsius statt der Minustemperaturen von 220 Grad an den Polen herrschen, installieren: Satelliten, Solarpaneele, Behausungen, gefolgt von mehreren Versorgungstransporten. “Ehe ein Mensch den Mars betritt, müssen etliche Kargoeinsätze erfolgreich absolviert worden sein”, sagt Kellie. “Scheitern kommt nicht in Frage.” Die ersten Besiedler folgen ihren adroiden Wegbereitern mit leichtem Gepäck - die Vision einer neuen Gesellschaft, die alles, was sie braucht, mit dem 3D-Drucker kreiert, von den Werkzeugen bis zum Mobiliar, und diese Objekte je nach Bedarf zu anderen nützlichen Dingen transformiert, ist von bestechender Eleganz, an der sich die so verschwenderischen Erdenbürger ein Beispiel nehmen sollten. Zu Kellies Aufgaben auf der Marsstation zählt es herauszufinden, wie lange ihr 3D Drucker zur Herstellung von Instrumenten braucht und ob er Ersatzteile für ramponiertes Equipment auf der Marsstation herstellen kann. 

Zugleich suchen zwei ihrer Kollegen - Mikrobiologen aus Japan und Belgien - in ihren unbequemen Raumanzügen nach sogenannten “extremophilen” Organismen zum Vergleich mit eventuellen Lebensformen auf den Mars. Das Ziel ist, auf dem ungastlichen Gestirn eine autarke Gemeinde zu bilden, die aus seinem Eis sowohl Wasser als auch Sauerstoff isoliert. Denn wenn der Mars auch mit seinem Tagesrhythmus von 24 Stunden und 14 Minuten, mit seinen Jahreszeiten und einer Schwerkraft von 38 Prozent der Erdanziehung unserer irdischen Heimat am nächsten kommt, so füllt das reine Überleben unter einem ungleich geringeren Atmosphärendruck und einer nicht atembaren Luft fast jeden Augenblick der dortigen Existenz. “In der Arktik ist das auch nicht anders”, kontert Kellie Gerardi.
Kellie Gerardi mit ihrem Ido, dem Astrophysiker Steven Hawkins

Bei aller Neigung zur Utopie ist sie zu realistisch, sich darauf zu verlassen, in zehn Jahren auf dem Mars zu landen. Sie arbeitet weiterhin für die Firma Masten Space Symstems in der kalifornischen Mojave Wüste an der Entwicklung präziser Landetechnologien, und in ihrem Penthouse in Brooklyn mit Blick auf Downtown Manhattan läuft permanent der Live Video Stream der internationalen Raumstation, die 220 Kilometer über der Erde kreist. Mit ihrem deutschen Verlobten - einem Banker, den Schwerelosigkeit seekrank macht - plant sie eine Familie. Doch wenn Mars One sie an Bord rufen sollte, würde sie ihre Kinder auf der Erde zurücklassen. “Ich möchte, dass sie mit dem Glauben an ungeahnte Möglichkeiten aufwachsen - sie sollen ihre eigene Apollo-Ära erleben.” Die Telekommunikation muß dafür kompensieren, dass die Erde vom Mars aus nicht mit bloßem Auge zu sehen ist. Vor diesen Abgründen nie erlebter Einsamkeiten fürchtet sie sich genauso wenig wie vor der Tatsache, dass Mars One nur ein One Way Ticket garantiert. “Das einzige, was mir Angst macht ist der Gedanke, dass ich sterben könnte, bevor ich zum Mars komme.”  Ihr zukünftiger Mann mußte Kellie Gerardi versprechen, ihre Asche in diesem Falle als kleine Raketennutzlast mit der ersten Marsexpedition zu verschicken.

Claudia Steinberg

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