"Wenn ich einen Touristenbus in den Straßen von Brooklyn sehe, bin ich jedesmal hingerissen", sagte Bill de Blasio kurz nach seinem Amtsantritt. Es ist zu bezweifeln, dass sich die Bewohner des einstigen Künstlerviertels Williamsburg oder die Pioniere am noch immer giftigen Gowanus Canal über den Anblick eines roten Doppeldeckers ebenso freuen, verheißt er doch vor allem höhere Mieten und teure Restaurants. Doch im Zuge des Trends zum "erfahrungsbezogenen Tourismus" wollen sich Fremde wie Einheimische fühlen, natürlich am liebsten in bisher unerschlossenen Winkeln der Metropole. Die Ortsansässigen blicken zwar blasiert auf den Herdentrieb, der Leute aus aller Welt unweigerlich an die selben Stationen führt, doch kaum streunen die Outsider von den ausgetretenen Pfaden auf Insider Territorium, gelten sie auch schon als dreiste Eindringlinge.
Wie Bloomberg, der über sein für 2015 gestecktes Ziel von 55 Millionen Besuchern schon in diesem Jahr hinausschoß, will auch sein Nachfolger die Wirtschaft der Stadt vor allem mit Unterstützung von Besuchern aus aller Herren Länder ankurbeln. Tatsächlich gaben die amerikanischen und ausländischen New York Touristen, die 2013 gemeinsam die Einwohnerzahl Englands überschritten, fast 40 Milliarden Dollar in New York City aus - das reicht aber längst noch nicht, im nächsten Jahr sollen es 70 Milliarden werden. Times Square, Soho, und das Metropolitan Museum wurden schon vor einem Jahrzehnt kolonisiertiert, und nun marschieren auch Menschen aus Iowa, Texas, London und Brasilien tapferen Schrittes durch das MoMA und über die Highline. Chinesen bilden die am schnellsten wachsende Gruppe unter den New York Besuchern, nicht zuletzt dank einer Training Academy für Reiseführer, von der New Yorker Handelskammer kürzlich in Shanghai eröffnet. Die Besucher aus dem Fernen Osten übernachten meist in New Jersey in Flughafennähe für ein Drittel des manhattenüblichen Zimmerpreises von knapp 300 Dollar pro Nacht und fahren morgens noch vor Anbruch der Rushhour mit dem Bus in die Stadt. Umgekehrt reisen Manhattaniten immer häufiger nach Mexico oder Costa Rica, um die durchschnittliche Monatsmiete von fast 3000 Dollar für eine Einzimmerwohnung mit Hilfe von Touristendollars zahlen zu können. Oder sie ziehen gleich nach Berlin.
Aus dem Tumult manischer Shopper und chronischer Verkehrsstaus ragt das Plaza abends als Bastion schwarzer Stille aus dem kommerziellen Hochglanz: das einstmals funkelnde Juwel sitzt als trauriger Kasten am Südende des Central Parks, die meisten Suiten zu täglich entstaubten und so gut wie nie benutzten Eigentumswohnungen verwaist - kaum mehr als eine imposante Adresse auf der Visitenkarte eines Milliardärs aus Übersee, seine Zehenspitze auf goldenem Pflaster. Da hätte man doch lieber Touristen, Portiers, Gepäck, Betrieb. Zumindest sollte sich der Einheimische gelegentlich eine Stunde als Gast in der eigenen Stadt schenken und sich in einem der noch lebendigen Grand Hotels gegenüber vom Plaza einen kostspieligen Drink erlauben. Hinter den dicken Glasscheiben breitet sich dann schweigend die fast vergessene Bilderbuchversion der Stadt mit den Joggern im Central Park aus, mit den gelben Taxis, deren Hupen man hier nur wie aus weiter Ferne hört. Zugleich kann man mit Verwunderung beobachten, wie eine endlose Prozession junger Japaner, Amerikaner und Europäer Selfies vor dem Logo des Apple-Stores an der Fifth Avenue schießt. Was ist schon "erfahrungsbezogener Tourismus", fragt man sich schließlich und erinnert sich an die eigenen Schnappschüsse vor dem Trevi-Brunnen in Rom, unter dem ausgestrecken Arm des Corcovado in Rio, auf der Pyramide von Chichen Itza. Jeder selbsterkorene Kosmopolit ist ja auch Tourist.
Claudia Steinberg
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