Noch etwas zu hoch für den genialen Knirps: der kleine Mozart am Klavier |
Nach einer langen Reise über die verwirrenden Highways von New Jersey offenbart sich Harringtons abgelegenes Möbellager jedoch keineswegs als Schauplatz der Klaviervernichtung, im Gegenteil: Endlosvideos erinnern die rund 20-köpfige Belegschaft in allen Hallen und Gängen an den fachgerechten Transport von Pianinos und Flügeln. Und wenn Jeffrey Harrington morgens um fünf noch vor seinen Angestellten aus Ghana und Mexiko auftaucht, setzt er sich erst mal an eines der verwaisten Klaviere, die ihm in den letzten Jahren immer häufiger in die Hände fallen, und spielt hingebungsvoll zwischen den riesigen Rollen von Luftpolsterfolie, aufgetürmenten Holzkisten und Gabelstaplern, am liebsten Songs von Billie Joel, "A New York State of Mind". Herrington versucht, den noch wohltönenden Instumenten eine Unterkunft in Kirchen, Altersheimen oder Schulen zu verschaffen. Nur wenn sich bereits Mäuse zwischen den Saiten eingenistet haben oder in dem Kasten nichts als schiefe Töne hausen, wendet er Gewalt an.
Kein anderes Möbelstück besitzt das gleiche sentimentale Gewicht wie ein altes Klavier, doch sein Wert ist in den letzten Jahren rapide gesunken. Die Dissonanz zwischen Nostalgie und Markt liegt zum Teil daran, dass sich der tonnenschwere Gegenstand ästhetisch immer weniger in die leichtfüßigen Einrichtungen des 21. Jahrhunderts einfügt, wobei ein 50,000 Dollar Steinway Konzertflügel mit seinem klassischen Design und unnahbaren Lack natürlich über alle Moden der Innenarchitektur triumphiert. Doch die weniger aristokratischen Instrumente aus der Hochzeit der Klavierproduktion vor rund hundert Jahren haben ihre Lebensspanne, die knapp an unsere eigene heranreicht, längst überschritten. "Besonders Nicht-Spieler erliegen einem romantischen Mißverständnis von der Unsterblichkeit des Klaviers", erklärt Martha Taylor, "doch es handelt sich dabei um einen komplizierten, anfälligen Organismus mit der Präzision einer Uhr, der zugleich einer immensen inneren Spannung unterliegt." Mit 80 sind die Gelenke müde, das Holz spröde, und selbst die besten der immer seltener werdenden Klavierstimmer und -restaurateure können diesen Greisen kaum noch Harmonisches entlocken.
Keine Spur mehr von einstiger Noblesse: Vom Prunkstück zum Trümmerhaufen |
Zumindest aber wärmen die Gebeine der klapprigsten Instrumente im Winter die Angestellten der New Yorker Firma Beethoven Pianos, die Klaviere restauriert, verkauft und vermietet, wenn sie nicht doch dem Holzofen als Schall und Rauch entschwinden. Transporterarbeiter, die sich an 1200-Pfund-schweren Exemplaren abschleppen und dabei um jeden Kratzer bangen, sollen sich in aufrichtigen Momenten gar zu einer sadistischen Freude am brutalen Ende ihrer sprerrigen Peiniger bekennen. Und auf Youtube hat sich das "piano smashing" mit fünfminütigen Beiträgen unter Titeln wie "Five Guys Are Having Fun Destroying a Piano" zu einem eigenen Genre ausgewachsen - ein Beweis für die anhaltende Popularität der altmodischen Tasteninstrumente, denn nur Liebesobjekte laden gemeinhin so viel Wut zuteil.
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